Nina Bunjevac hat ein beachtliches Graphic Novel gezeichnet und geschrieben. In Bezimena verarbeitet sie eigene Erfahrungen von sexualisierter Gewalt mit dem griechischen Mythos von Artemis, die von dem jungen Siproites heimlich beim Baden beobachtet wird und ihn zur Strafe in eine Frau verwandelt. Nina Bunjevacs Buch ist explizit, schmerzhaft, stark, metaphorisch und lebt durch die unglaublich präzisen Bilder.
Die Geschichte beginnt mit einem Dialog, entkoppelt von der Welt, figurenlos, irgendwo im Sternenhimmel:
,Meine liebe Freundin, deine weisen Worte erinnern mich an eine Geschichte, die ich vor langer Zeit gehört habe…über eine Priesterin und die alte Bezimena.‘ ,Liebe Freundin, bitte erzähle.‘ ‚Das werde ich, denn dein Wunsch ist auch der meine.‘
Es beginnt mit einer Priesterin, die von der alten Bezimena – das Wort bedeutet in den meisten slavischen Sprachen „namenlos“, wie dem Beginn vorausgestellt wird – unter Wasser getaucht wird. Sie wird neu geboren als Junge, Benny, in eine reiche Familie, es mangelt ihm an nichts. Schon früh beginnt er sich als Voyeur zu befriedigen. Allzu gern starrt er die Mädchen in seiner Klasse an, die Hand in der Hose. Auch als junger Mann – er ist nun Hausmeister in einem Zoo – verbringt er viel Zeit in versteckten Ecken, beobachtet junge Frauen und masturbiert dabei. An einem Tag beobachtet er im Zoo Becky und erkennt in ihr seine ehemalige Klassenkameradin. Sofort verspürt er ein unbändiges Verlangen nach ihr.
Sein Herz begann wie wild zu pochen. Es war die ,weisse Becky‘! Benny starrte sie gebannt an, außerstande, seinen Blick abzuwenden. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er niemals mehr eine andere Frau würde begehren können.
Becky lässt ihr Notizbuch im Zoo fallen. Benny hebt es auf und meint darin auf erotische Zeichnungen, auf Aufforderungen an ihn zu stoßen. Doch schon hier tritt die Vermutung auf, dass Benny eine unzuverlässige Figur ist. Dieser Verdacht erhärtet sich später und zeigt die gewaltvollen Taten eines besessenen Vergewaltigers.
Schmerz & Explizitheit
Die Zeichnungen sind großflächig, explizit, pornografisch. Es wird schnell deutlich, dass es sich um keinen einvernehmlichen Sex handelt, sondern um Gewalt, Vergewaltigung und Erniedrigung. Das Perfide ist, dass wir als Leser*innen über lange Strecken die Sicht des Täters annehmen – das ist der Grund, warum einem beim Lesen manchmal fast schlecht wird und man das Graphic Novel zur Seite legen möchte. Nina Bunjevac spielt mit drei Erzählebenen: der unsichtbare Dialog, die Rahmenhandlung der Priesterin, die – wie Siproites – in ein anderes Geschlecht verwandelt wird und dann das Leben der Transformation in Benny. Dieses Buch ist vielschichtig und anspielungsreich, einmal zum Beispiel läuft Benny an einer Statue der Artemis vorbei. Die schwarz-weißen Zeichnungen arbeiten mit großflächigen Straffuren, Punkten, sie nehmen Platz ein, oft nimmt die Autorin sich den Raum, mehrere schwarze Seiten einzubauen, eine schwere Dunkelheit, die sich nicht vertreiben lässt. In ihren Anmerkungen erläutert Nina Bunjevac ihre eigenen Erlebnisse sexueller Gewalt und verfasst eine Widmung.
Dieses Buch widme ich all den vergessenen und namenlosen Opfern sexualisierter Gewalt. Auf dass ihr Frieden findet, und Licht, und auf dass ihr die Dunkelheit vertreibt, die euch umgibt.
Bei diesem Buch sagen Bilder einfach noch mehr, als jedes Wort, das man darüber schreiben kann. Bezimena ist gewaltig – auf vielen Ebenen.
Nina Binjevac: Bezimena, Avant 2020.
- Die Gespenster von Demmin - 22. November 2020
- Streulicht - 4. November 2020
- Bezimena – Für die Namenlosen - 9. August 2020