Identikid

Die Graphic Novel Identikid ist Moa Romanovas autobiografisch geprägtes Debüt. Im augenfällig eigenwilligen Look präsentiert sie uns Moa, eine junge schwedische Künstlerin mitten im Leben, umsorgt, sozialisiert, talentiert und doch zerfressen von Panikattacken.

Moa Romanovas Debüt. Foto: Karolin Kolbe

Mit ihren Freundinnen geht sie auf Techno-Partys, drogenumnebelt lässt sich das Leben feiern. Doch jetzt versucht Moa sich in Abstinenz, straight edge, oder zumindest crooked edge, denn sie vermutet, dass das Spice schuld ist an ihren psychischen Problemen. Das rät ihr auch die Therapeutin. Aber leicht wird das nicht. Lethargisch lässt Moa ihre Wohnung vermüllen, das Geld wird knapp, ereignislose Tage drücken auf das Gemüt, genau wie die Sinnlosigkeit, die sie plötzlich von überall anstarrt. Wegen ihrer Wut- und Angstanfälle ist Moa seit Monaten krankgeschrieben, bekommt Medikamente – nimmt sie widerwillig – und verliert zunehmend die Geduld: Wie lange soll das noch so weitergehen? Was ist mit ihr? Und wann wird es endlich besser? Normalerweise telefoniert sie mit ihrer Mutter, wenn es ganz schlimm ist. Doch neulich hat Moa einen TV-Promi auf Tinder kennengelernt, der tatsächlich ein Fan ihrer Kunst zu sein scheint und sie als Mäzen und Freund unterstützen will. Der Austausch mit dem deutlich älteren Mann hilft ihr, ihre Krise anzugehen und mit der Verarbeitung zu beginnen. Doch es bleibt kompliziert. Geht es ihm wirklich nicht nur um Sex wie all den anderen Arschlöchern? Hat die oberflächenfixierte Medienbranche sein goldenes Herz unberührt gelassen? Moa zweifelt…

Ein Date mit Fernsehpromi, 53?

›Fragt sich nur, was du anziehst. Bitte bring nicht deinen lahmen Sadboy-Style. Lieber Muskelshirt und Krawatte / Fleece-Helm-Überzug mit goldenem Hahnenkamm / Nackt mit Bodypaint-Frack.‹ ›Eine von diesen LED-Gürtelschnallen mit der Laufschrift: „Ich mach das nur, weil du ein Promi bist“.‹

Identikid will für uns sprechen, Stimme einer Generation kaputter Hedonisten und Burnout gefährdeter Workaholics sein. Im Lebensgefühl alles erreichen zu können, ja zu müssen, und ewig zu versagen. Die ständige Angst vor dem Scheitern und Untergehen in einer gigantisch schnelllebigen und gnadenlosen Welt des Erfolgsdrucks, wo Job Selbstverwirklichung und Kleidung Ausdruck einer hippen Individualität sein muss, der Lifestyle passend zum Portfolio einer durchökonomisierten Existenz. Und mittendrin Moa, die sich in dem ganzen Irrsinn wie ein Fremdkörper fühlt, weil sie im Nichtfunktionieren zur Aussätzigen wird und durchs System fällt.

Wie bei Planet der Affen. Die ganze Zeit Streit und Krieg, weil sie von diesem abgefuckten Planeten wegwollen. Und dann merken sie, dass sie auf der Erde sind und so. Sie sind zu Hause. Der Planet der Affen ist in mir drin.

Diese Social Media-internalisierte Girl Gang hat es in sich!

Identikid in Baggy-Klamotte. Foto: Karolin Kolbe

Moa Romanova erschafft eine sensible Figur in Baggy-Klamotten, die aneckt und zweifelt, die impulsiv ist, es übertreibt und dann vom Schatten einer Depression in die Laken gedrückt wird oder sich auf dem Asphalt unter Tränen zusammenkrümmt. Die Konfrontation mit einer so kompromisslosen Figur ist schonungslos, ein Schlag. Dabei lässt die Autorin Raum für Leser*innen, um die Figur selbst auszudeuten, zu verorten. So gibt die Google Historie zum Beispiel mehr Auskunft über die Protagonistin als ihre Gespräche mit Freundinnen. Bildreich und in schiefen Vergleichen versucht sie zu formulieren, was in ihr vorgeht.

›Und was hindert dich daran, diese Dinge zu tun? Warum vermeidest du sie? Vielleicht interessiert es dich einfach nicht, das zu tun, was man von dir erwartet? Einen Job suchen, ins Büro gehen. „Ein Gesicht in der Masse sein“‹. ›Hm, jein. Es ist eher sowas wie… Unfähigkeit. Gleichgültigkeit. Es fühlt sich so völlig egal an und als ob ich einfach zu müde bin. Wie als wenn einen jemand mitten in der Nacht weckt und einen so fragt: „Könntest du mir vielleicht helfen, dieses völlig überflüssige Loch zu graben, bei Minusgraden. Ohne Jacke.“ Und man so: Äh, nein.‹

Comic-Debüt. Foto: Karolin Kolbe

Das Ganze kleidet sich in einen Stil, der sehr eigen und neu ist. Der nicht gefallen will und der übertreibt. Moa trägt untenrum selten mehr als Unterhosen und hat überdimensionierte Schultern und Arme, Ohren und Schuhe. Verhüllt in riesige, wolkenartige Teddyfelljacken verschwindet ihr kleiner, stehts von einem Dutt gekrönter Kopf, der schwerfällig nach vorne kippt. Moa Romanova schafft es, einem bestimmten Körpergefühl in ihrer Ästhetik Ausdruck zu verleihen, es erfahrbar werden zu lassen. So schaut man nicht nur auf Moa drauf, sondern zugleich in sie hinein, wird emotional mitgerissen von ihrer überbordenden Niedergeschlagenheit oder Verweigerung. Anleihen an eine Manga-Optik, sowie Popeye-Gliedmaßen und Mickey Mouse-Gesichter zollen nicht nur einer Comic-Tradition Respekt, sondern thematisieren auch unerreichbare Schönheitsideale. Machtdynamiken und Gender Issues scheinen hinter den Dialogen immer wieder auf, ohne explizit verhandelt werden zu müssen. Diese Social Media-internalisierte Girl Gang hat es in sich!

In meiner Erinnerung ist mein Leben vor den Panikattacken wie ein Ke$ha-Musikvideo. Aber ich glaube, ich romantisiere da etwas. Vermutlich lag ich einfach in meinem Hotbox-Zimmer mit hautfarbenen Augen und googelte so Sachen wie ›Was wiegt eine Frisur‹.

Ein sehr kraftvoller, sehr zeitgenössischer Comic. Nachdenklich, ungeniert, ironisierend, sehnsüchtig, verletzlich.

 Moa Romanova: Identikit, avant-verlag 2020

Zuerst erschienen bei Wortgelueste.de

Lena Stöneberg

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