90 Jahre nach dem Erscheinen Hesses meistgelesenen Romans Narziss und Goldmund findet der Klassiker der deutschen Literaturgeschichte eine neue Form. Ab März in den deutschen Kinosälen. Auf Leinwand und Hochglanz poliert. Mit viel nackter Haut und Undercuts.
Von Anna-Maria Velhorn
Mönchsgesänge begleiten die Eingangsszenerie zwei einsamer Reiter in einer weitläufigen Schneelandschaft. Hoch oben thronen die Mauern des Klosters Mariabronn – Ort der Begegnung zwischen dem jungen Novizen Narziss (Sabin Tambrea) und dem vom Vater verstoßenen jungen Goldmund (Jannis Niewöhner). Zunächst widerwillig nimmt sich der asketische Gottesdiener Narziss seiner Aufgabe, sich um den neuen Schüler zu kümmern, an und zeigt sich von Beginn an als Protegé des warmherzigen und fantasievollen Goldmunds. Er schützt ihn vor den blutigen Disziplinierungsmaßnahmen im Lateinunterricht und pflegt ihn gesund als er schwer erkrankt. Unfreiwillig verengt sich die Beziehung zwischen den beiden Jungen und dann steht es für Goldmund fest:
Wir drei können ja zusammen Freunde werden: Du, ich und Gott.
Es ist der Beginn einer ebenso innigen, wie von Gegensätzen geprägten Freundschaft, die bis an ein Lebensende reichen wird.
Wechselspiel zwischen farbenschillernder Szenerie und düsteren Orten
Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky (Die Fälscher) kreiert auf Bildebene ein Wechselspiel zwischen farbenschillernden Szenerien und düsteren Orten und schafft eine treffliche wie amüsante, zeitweilig schmerzvolle Darstellung der Dualität zwischen Vergeistigung und Leben. Auch wenn die Erzählung im Mittelalter verankert ist, lassen sich Hochglanzoptik und die zu jeder erdenklichen Gelegenheit präsentierte nackte Haut junger, durchtrainierter Körper – besonders die des Protagonisten Goldmunds – einerseits zu Gunsten des Zuschauervergnügens rechtfertigen. Andererseits durch die Intention Ruzowitzkys, dem es weniger um eine getreue Nachzeichnung einer Geschichte im spätmittelalterlichen Bilde geht. Im Fokus steht der Autor mit seinem Werk und damit die Vermittlung Hesses romantisierender Sicht des dunklen Zeitalters und des Geistes der literarischen Vorlage. Ein nicht minder mutiges Unterfangen, bedenkt man Hesses allgemeine Abneigung gegenüber Literaturverfilmungen, die für ihn vor allen Dingen eins bedeuteten: „Degradierung und Barbarei“.
Unzählige Versuche einer würdigen Erarbeitung und Umsetzung des Stoffes durch andere liefen ins Leere, bis sich der österreichische Regisseur der Vorlage annahm. Die Rückblendentechnik ist hierbei ein geschickter Kniff, die strukturellen Schwierigkeiten des Textes zu überwinden. Anders als in Hesses Roman ist Narziss somit ständig präsenter Bestandteil der Erzählung, wodurch Ruzowitzky die Darstellung der tiefen Männerfreundschaft gelingt.
Kitsch und Dramatik
Bisweilen droht das Ganze etwas zu sehr in Hollywood-Kitsch abzugleiten. Mit Emotionen wird in dem 110-minütigen Spektakel jedenfalls nicht gegeizt. Besonders eindringlich haften bleibt die unvermeidliche Abschiedsszene zwischen Narziss und Goldmund, den sein unstillbarer Lebensdurst und die Suche nach seiner Mutter in die Welt hinaus treiben. Neben der Enge und den mit der Absage an irdische Lüste verbundenen Steinmauern des Klosters, wird die homoerotische Beziehung der beiden Männer zunehmend zur Bedrohung für die klösterlich-geistliche Struktur. Spätestens seit dem Zeitpunkt, an dem Goldmund durch die Gitterstäbe der in Mondlicht getauchten Geißelungskammer den von Striemen überzogenen, blutig gepeitschten Körper Narzisses entdeckt, sind die Pforten des Dramalandes weit geöffnet.
Für Goldmund ist es der Beginn einer 15-jährigen Reise, die flink getaktet und mit einer derartigen Darstellungsdichte zwischen allerlei Lebensgenüssen, sexueller Abenteuer, Rückschlägen, Ortswechsel und Lebensformen jongliert, dass der Zuschauer mit den Augen kaum nachkommt. Hier geht es um alles oder nichts. Liebe gewonnen, so zerronnen. Vom geschätzten Lateinlehrer zum knapp dem Tode Entkommenen. Vom bewunderten Bildhauer und der Aussicht auf Wohlstand zum obdachlosen Streuner. Goldmund findet seine wahre Liebe. Es folgt die obligatorische Fluchtszene des Paares, in gelb getauchte Gebirgslandschaften, Szenen im Kornfeld mit Lichtungsidylle und einer Menge Klatschmohn. Sie jagen Ziegen, essen Beeren und baden ihre schönen, jugendlichen Körper in Flüssen. Nachts sehen sie sich die Sterne durch das spärliche, aus Ästen gebastelte Gerüst ihrer Waldhütte an. Symbolische Verlobung mit Ringen aus Grashalmen. Das Idyll wird durch eine brutale Vergewaltigungsszene regelrecht zerschmettert. Das Ereignis endet mit einem Mord und dem elendigen Dahinraffen seiner schwangeren Frau durch die Pest. Die Suche nach der Mutter setzt sich fort. Währenddessen widmet sich Narziss gewissenhaft seinen geistlichen Aufgaben, übt sich in Askese und wird Abt. In den geschützten Mauern des Ordens bleiben ihm Leid erspart und die Freuden des Lebens versagt. 15 Jahre und „mehr als in ein Leben passt“ später, finden die Freunde unverhofft durch eine unglückliche Begebenheit wieder zusammen. Die Szene, in der sich Narziss einmal mehr als Beschützer des mittlerweile verkrüppelten, einstmals strahlenden Jünglings beweist, ist nicht weniger emotional und endet am Lagerfeuer mit Goldmunds Bekenntnis: „Ich habe so oft an euch gedacht.“ Schön, oder?!
Zeitlos und unkonventionell
Aber das wirklich Schöne an dieser Verfilmung ist und bleibt doch, dass gerade dieser Hesse-Stoff zur Filmvorlage wurde. Denn obwohl sich Hauben, Mieder und Wämse auf den Schauplätzen von Märkten, Landidyll und im innen und Außen massiver Steinmauern tummeln, bleibt die Stofflichkeit doch eine recht zeitlose, wenn von mittelalterlichen Klischees wie Pestpandemie und Kreuzzügen abgesehen wird. Auch wenn der Frage nach der eigenen Identität, besonders seit Max Frisch, eine moderne Note anhaftet, wirkt sie gerade wegen Ruzowitzkys unkonventioneller Darstellung nicht deplatziert. Da darf es dann auch ab und an mal etwas dramatischer zugehen.
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