Schreiben ist eine Gabe. Deshalb schaffen nicht Viele das, was Ronya Othmann bereits mit 26 Jahren erreicht hat: Als Masterstudentin des Literarischen Schreibens am DLL schreibt sie Kolumnen in deutschen Leitmedien, veröffentlicht Gedichte und fordert Grundsatzdiskussionen beim renommierten Bachmannpreis heraus. In Leipzig möchte ich mit ihr über die Motivation dem Unsagbaren Ausdruck verleihen zu wollen und ihren Alltag als Autorin sprechen.
Interview von Inga Stichling
Du hast mit dem Schreiben schon relativ früh begonnen – gab es einen Schlüsselmoment oder AutorInnen, die dich dazu bewegt haben, diesen Weg weiterzuverfolgen und selbst Autorin zu werden?
Ich habe ungefähr mit 12 Jahren begonnen, Tagebuch zu schreiben und habe das sehr lange gemacht, einen konkreten Moment gab es da nicht. Als ich aber zum ersten Mal etwas von Herta Müller gelesen habe, wurde ich süchtig nach Literatur. Manche ihrer Texte haben mein Leben verändert. Auch Paul Celan hat mich geprägt. Lesen war fast schon überlebenswichtig für mich, das Schreiben kam dann automatisch.
Du hast Literarisches Schreiben im Bachelor studiert und bist nun im dazugehörigen Master – könntest du einen kurzen Überblick darüber geben, wie so ein Studium aussieht?
Das Studium war sehr frei gestaltet: Man konnte viele verschiedene Sachen probieren, also Theater, Hörspiel, Prosa, Lyrik… dazu gehörte zum Beispiel auch Sprechtraining für Lesungen. Die Seminare waren eher Werkstattseminare, in denen man gemeinsam mit 15 Leuten seine Texte bespricht und voneinander lernen kann. Wir hatten auch GastdozentInnen, unter anderem Mely Kiyak und Jenny Erpenbeck. Eigentlich ist es mehr ein künstlerischer Studiengang, sowas wie Literaturwissenschaft im klassischen Sinne lernt man da nicht. Für den Master bewirbt man sich dann mit einer Romanidee, aber meinen ersten Entwurf habe ich verworfen und im Studium einen neuen angefangen. Das passiert ziemlich oft.
Könnte man also knapp sagen, dass ihr lernt, wie man einen guten Roman schreiben kann?
Nee, ich denke, dass viele Leute das aber glauben. Es ist eher so, dass man mit seinen KommilitonInnen über das Geschriebene spricht, sich zwar auch Feedback gibt, aber nicht sagt „schreib das mal so und so, das wäre besser“. Die kennen dann die verschiedenen Stadien der Texte und man versucht selbst die Idee weiterzuentwickeln.
Wozu studiert man dann Literarisches Schreiben, wenn offenbar Talent vorhanden ist und man weiterhin selbstständig an seinen Texten arbeitet?
Für mich ist es eine Art Entschuldigung oder „Ausrede“ gewesen, um mich voll und ganz aufs Schreiben zu konzentrieren und Anderen sagen zu können, dass ich was für die Uni mache, besonders für meine Familie. Teilweise erzählte ich, dass ich Literaturwissenschaften und Journalismus studiere, weil sie nicht verstehen würden, was ich da eigentlich mache, weil „einfach schreiben“ für sie so ein Spaßding ist. Dieses Künstlerische war immer etwas, was Andere machen, etwas, das man sich leisten können muss, und durch diesen professionalisierten Rahmen habe ich einen Ort gefunden, wo ich meiner Leidenschaft nachgehen kann und Leute habe, die einen inspirieren und unterstützen.
Du hast mal gesagt, dass die Sprache in der Prosa die Geschichte transportiert und in der Lyrik dessen Material ist. Kannst du genauer erklären, worin da der Unterschied für dich besteht?
Lyrik ist für mich eher wie Musik, wo es um Rhythmus geht und eine Stimmung, die man explizit über Sprache transportiert, auch Dinge, die nicht gesagt werden, wohingegen es bei Prosa eher um das Erzählen geht und man sich fragt, wo die Geschichte anfängt, wo sie hinführt und schließlich aufhört. Diese Gattungen zu unterscheiden ist aber auch irgendwo individuell und die Grenzen fließend.
Gibt es Themen, die du eher in Lyrik oder Prosa niederschreibst?
Ich würde sagen, dass ich da keine klaren Unterschiede mache. Allerdings bin ich kein Fan von aktivistischer Literatur und bin deshalb froh, dass ich Kolumnen schreibe, in denen ich über diese Dinge anders sprechen kann, wie zum Beispiel über den völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in Nordsyrien. Ich möchte in meinen literarischen Texten nicht die Moralkeule schwingen, aber habe trotzdem das Bedürfnis, über all diese Dinge zu schreiben, weil ich das Gefühl habe, dass das meine Pflicht ist als jemand, die einen Einblick in all diese Geschehnisse hat.
Deinen Text „74“, der vom Genozid an den Jesiden handelt, hast du beim letzten Bachmannpreis vorgetragen. Er führte letztlich zu einer Grundsatzdiskussion darüber, ob man einen so persönlichen und auch politischen Text literaturwissenschaftlich bewerten kann. Wie erging es dir damit?
Das war schon komisch, weil ich ja genau deshalb dort war, um darüber sprechen zu können. Ich denke zum Beispiel an Karl Ove Knausgard, der sieben Bücher über sein Leben als weißer Mann geschrieben hat und wozu dann alle sagen „Das ist Literatur“. Ich habe beim Bachmannpreis gelesen, weil ich diese Reichweite nutzen wollte für einen Text, bei dem mir wichtig war, dass viele Leute ihn hören. Ich bin Zeugin von etwas geworden, und darum geht es in meinem Text. Der Genozid selbst ist 2014 gewesen, aber er ist noch nicht vorbei. Nichts wird mehr so sein wie vorher. Ich habe ein halbes Jahr daran geschrieben, weil ich immer wieder Pausen einlegen musste, wenn ich keine Kraft mehr hatte. Überhaupt finde ich es problematisch, wenn man Literatur immer mit Fiktion gleichsetzt.
Inwiefern?
Für mich misst sich Literatur nicht danach, ob es fiktiv ist oder nicht, sondern viel mehr, wie man mit Sprache umgeht. Bei diesem Text hätte ich nichts erfinden können, weil ich sowieso viel zu viel Material hatte und es auch merkwürdig und unverantwortlich gewesen wäre, den Opfern des Genozids gegenüber, den Menschen, die mir ihre Geschichte erzählt haben. Ich habe den Text geschrieben, weil ich etwas verstehen wollte, was ich nicht verstehen kann. Ich finde es komisch, dass man die Frage nach Literarizität bei anderen Texten nicht gestellt hat und hier schon. Sie haben dann gesagt, dass sie nicht darüber reden können, weil ich gerade vor ihnen sitze…
Es ist auch deshalb eigenartig, weil du als Urheberin des Textes gar nicht in die Diskussion miteinbezogen wurdest, was beim Bachmannpreis ja immer wieder kritisiert wird…
Man kann als Autorin zwar schon etwas sagen, wenn es um faktische Fragen geht, aber macht es sonst eher nicht, um sich selbst zu schützen. Ich wurde dann direkt nach dem Vortrag ungefähr 20 Mal interviewt und brauchte danach erstmal eine Weinschorle mit Zigarette (lacht). Aber es war insgesamt schon in Ordnung, weil ich ja auch Unterstützung erfahren habe.
…vor allem vom Publikum, das dir den dazugehörigen Preis verliehen hat – ist das für dich sogar eine größere Ehre, weil sie letztlich auch deine eigentliche Zielgruppe ist?
Auf jeden Fall. Außerdem gibt es parallel zur Übertragung auch eine Twitter-Diskussion, an der die Leute sich selbst beteiligen können, wo die Jurydiskussion wiederum aufgegriffen und kritisiert worden ist. Allerdings haben manche UserInnen auch geschrieben, dass sie sich von meinem Text „emotional erpresst“ fühlen. Das tut schon weh.
Du bist auch als Privatperson auf den gängigen Social-Media-Plattformen unterwegs. Wie erlebst du die Debattenkultur dort und sind sie ein wichtiges Instrument für dich als Literatin?
Fürs literarische Schreiben sind Instagram und Twitter eher unwichtig für mich, es stört mich sogar mehr, als dass es mir hilft. Letzteres nutze ich vielmehr für meine Recherche und Verbreitung meiner journalistischen Texte, was dazu führt, dass mir zwar viel Zustimmung, aber auch Hass entgegenbracht wird. Der Hass geht zum Teil so weit, dass ich die Polizei einschalten musste. Das alles gilt aber nur für Texte, die online und nicht in Print erscheinen. Solche Leute gehen offenbar nicht in den Kiosk und kaufen Zeitung, und eine wie die TAZ sowieso nicht.
Sind für die kommende Zeit – neben deinen Kolumnen – auch literarische Texte von dir zu erwarten?
Ja, in ungefähr einem halben Jahr wird mein erster Roman „Leyla“ erscheinen – momentan sind wir noch in der Lektoratsphase. Es geht um eine Frau, die kämpfen geht.
Gratuliere dir dazu! Fällt es dir schwer, dass in dieser Phase andere in deine Texte eingreifen?
Überhaupt nicht. Ich glaube nicht an diesen Geniekult und bin dankbar dafür, dass meine Texte besser werden, wenn andere draufschauen, weil ich selbst die Distanz verloren habe. Sonst wäre ich auch am DLL falsch, weil es da über zehn verschiedene Lesarten gibt. Man verliert seine eigene Eitelkeit und das ist gut so.
Danke für deine Zeit und das nette Gespräch, liebe Ronya!
Twitter: @OthmannRonya
Instagram: @officialronny1
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