Yasemin Altınay hat ein Magazin herausgebracht, das es so bisher nicht gab: Literarische Diverse. Ein Magazin für junge und vielfältige Literatur versammelt in der ersten Ausgabe Texte unter dem Überthema Engagement. Ein Schwerpunkt, schreibt Yasemin im Editorial, liegt darauf, Texte von BIPoC und LGBTQ+ Personen zu veröffentlichen und diesen Texten mehr Raum im deutschsprachigen Literaturbetrieb zu geben. Ein Herzensprojekt mit einer sprachlich und optisch fantastischen Umsetzung.
Ich kann nicht aufhören hinzusehen, obwohl meine Augen schon zufallen. Ich kann nicht aufhören hinzusehen, für alle die, die ihre Augen weiterhin verschließen. Vielleicht wäre das schon ein großer Teil der Antwort. Augen öffnen. Öffnet eure Augen. Und öffnet eure Ohren. Warum wird nie gehört, wem das eigene System wehtut, oder wo das eigene Handeln hinführt?
Es sind Texte, wie Was man tun kann von Olaide Frank, die beeindrucken. Ein Appell fürs Zuhören, fürs Engagement, ein Text zum ertappt fühlen. Das Magazin stellt die Frage, wer sich äußern kann und wie man den Systemfehler über Menschen zu sprechen, statt sie selbst zu Wort kommen zu lassen, überwindet. So fragt sich Diana Canays Text Mehr als ein Sprechverbot, ob wir Political Correctness brauchen [im folgenden Zitat ist das Wort weiß kursiv geschrieben, was leider nicht dargestellt wird]:
[Ich] möchte […] zunächst auf die Absurdität der Debatte hinweisen. Menschen, die nicht von der Materie betroffen sind, diskutieren darüber, ob es sinnvoll ist, politisch korrekt zu sprechen. Menschen bzw. weiße Menschen in unserer Gesellschaft haben viel zu lange am Tisch gesessen und über Menschen diskutiert, die nicht betroffen sind. Männer über Abtreibung; Männer über Besteuerung von Hygieneartikeln von Frauen*; weiße über Rassismus. Es scheint eigentlich absurd, dass akzeptiert wird, dass Leute, die nicht verletzt werden können, darüber diskutieren, ob gewisse Worte verletzen.
Auch der Text Decolonize von Sherin Striewe ist einer, der besonders aufrüttelt. Ein Spoken-Word-Text, der sich mit den persönlichen Erfahrungen auseinandersetzt, als Aktivist_in of Color für einen unbezahlten Spoken-Word-Beitrag auf einer Fridays for Future Bühne angefragt zu werden. Sherin Striewe stellt dem Text die Einordnung ihres persönlichen Kontextes voran und beginnt dann so:
Wie viel bin ich wert? Wie viel ist mein Körper wert? Wie viel mein Wissen? Wie viel meine Erfahrung? Wie viel meine Zeit? Wie viel mein Wort?
Ein Text, der sich mit strukturellen Missverhältnissen auseinandersetzt, wütend und in klarer Sprache. Der letzte Satz sorgt dann nochmal ganz besonders für Gänsehaut.
Diversität in den Textformen
Thematisch befassen sich die Texte auf Deutsch und Englisch mit Engegement und Rassismuserfahrungen. Die literarischen Formen sind so divers, wie die Blickwinkel der Schreibenden: Kurzgeschichten und Essays, wie von Kübra Beydaş oder Simoné Goldschmidt-Lechner stehen neben Gedichten, zum Beispiel von Dieu Linh Xuan Nguyen und Elona Beqiraj, neben Interviews von Maline Kotetzki oder Yasemin Altınay und einem Comic von Limo und Jenny Le. Insgesamt gibt es Beiträge von einundzwanzig Autor_innen, zwei Illustrator_innen sowie sechs Fotograf_innen. Die Texte werden bebildert von künstlerischen und stimmungsvollen Fotos und Illustrationen, eine ergänzende Ebene zum Geschriebenem. Im Vorwort formuliert Yasemin Altınay:
Dieses Magazin ist also eine Verbindung von Literatur, Diversität und Sichtbarkeit. Mein Ziel: Eine Plattform schaffen für Empowerment und Engagement als Norm.
Die Literarische Diverse reiht sich damit in kürzlich erschienene Bücher und Anthologien ein, wie Fatma Aydemir/Hengameh Yaghoobifarah (Hrsg.): Eure Heimat ist unser Alptraum (Ullstein fünf 2019), Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten (hanserblau, 2019) oder Reni Eddo-Lodge: Warum ich nicht länger mit weißen über Hautfarbe spreche (Tropen Verlag 2019). Es geht um Sichtbarkeit, Empowerment, um Dazulernen und einfach mal Zuhören (oder besser Zulesen), um poetische Texte und Geschichten, von denen man gut und gern noch ein paar Seiten mehr lesen möchte. Dieses neue Magazin muss gelesen und gekauft werden, damit es bald eine zweite Ausgabe gibt. Tabea Paulis Text In a world ist der letzte in dem 70 Seiten starken Magazin. Er endet mit den Worten: „You are not alone in this.“
Yasemin Altınay (Hrsg.): Literarische Diverse. Ein Magazin für junge und vielfältige Literatur, 2019.
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