Ich erinnere mich noch gut an einen Theaterabend, den ich mit einer leichten Erkältung begann und aus dem ich mit einer schweren Grippe herauskam. Wie auch immer das (meta-)physisch im Zusammenhang mit dem dargebotenen Woyzeck zu erklären ist; Vorhang auf für die Graphic-Novel-Adaption eines der meistgespielten Dramen der deutschen Literatur: Der Woyzeck ist immer noch starker Tobak, auch bei Andreas Eikenroth.
Wie ergeht es »einem«, der den Rockzipfel der Gesellschaft nicht zu fassen bekommt. »Einem«, der malträtiert und gedemütigt wird. »Einem«, dem niemand etwas Gutes will. Vielleicht hat sich Georg Büchner all diese Fragen gestellt, als er mit einer Charakterstudie für seinen Woyzeck nach einer wahren Begebenheit begann. Als Büchner 1837 im Alter von 23 Jahren stirbt, ist sein Woyzeck-Manuskript ebenso in der Schwebe wie der namensgebende Protagonist. Erst 1879 erscheint eine erste Fassung des Dramenfragments.
Ich glaub‘, wenn wir in den Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen.
Wie sieht »einer« aus, der vom Leben gezeichnet ist?
Diese Frage stellt sich Andreas Eikenroth, der 140 Jahre nach der Erstveröffentlichung täglich durch Woyzeck-Land läuft, wie er selbst im Geleit seiner Graphic Novel Woyzeck schreibt.
Woyzeck, der einfach Soldat, der seine Freundin Marie und das gemeinsame uneheliche Kind finanziell unterstützen möchte. Einem skrupellosen Arzt verpflichtet er sich deswegen zu Versuchszwecken, um den mageren Sold aufzubessern. Nicht nur der Arzt, sondern auch der Hauptmann beuten den einfachen Soldaten aus, demütigen ihn in aller Öffentlichkeit, während der Protagonist in den Fängen der Obrigkeiten psychisch und körperlich dahinsiecht.
Der Gießener Andreas Eikenroth holt Woyzeck in die Wirren der Weimarer Republik und verleiht dem einfachen Soldaten ein neues Gesicht. Eines, das ihm in dieser Epoche auch George Grosz, Karl Arnold, Egon Schiele und Max Liebermann hätten geben können. So behält der Comic zwar eine zeitliche Distanz, kann sich jedoch einer Bildsprache bedienen, die die Erzählung durch den Exzess der 20er Jahre steigert.
Wenn man kalt ist, so friert man nicht mehr. Du wirst vorm Morgentau nicht frieren.
Doch das ist nicht die einzige Änderung, die Eikenroth bei seiner Graphic-Novel Adaption vornimmt: Er beruft sich auf die frühe Textfassung des Woyzeck und zeigt so eine Abfolge des Fragments, die von der verbreiteten Anordnung abweicht.
Gewalt, Verrohung, Aussichtslosigkeit
Die Spiegelung des verrohten Woyzeck, der seinem Schicksal hilflos ergeben ist und im Wahn letztlich nur noch den Gewaltexzess als Ausweg sieht und der verrohten Obrigkeiten, die ihre Machtposition nutzen, um zu quälen, zu demütigen, sich zu bereichern; Sie attestieren dem devoten Woyzeck mangelende Tugendhaftigkeit und impfen ihm diese These ein, obwohl ihnen selbst jedwede Moral fehlt.
Sehn sie, Wir gemeine‘ Leut, das hat keine Tugend, es kommt einem nur so die Natur.
Es spiegeln sich der Wahllose und die wahllos Zerstörenden. In dieser Konfrontation liegt die überzeitliche Lesbarkeit, die zeigt, weshalb der Stoff noch immer gespielt, gelesen, bearbeitet und rezepiert wird.
Eine graphische Inszenierung
Auch wenn der Woyzeck hier zwischen zwei Buchdeckeln liegt, bleibt er doch Theater. In ganzseitigen montierten Szenen-Bildern erzählt Eikenroth das Drama und nennt seine Umsetzung in Text und Bild, ohne die klassischen Panels, eine graphische Inszierung.
Eine Leseprobe des Titels gibt es hier.
*Der Gießener Andreas Eikenroth war Mitbegründer des Comicmagazins the Kainsmal und Mitglied des Zeichnerkollektivs Spong. Neben Arbeiten für Zeitungen und Magazine erscheinen seine Werke seit 2013 in der Edition 52.
Andreas Eikenroth: Woyzeck. Edition 52, 2019.
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