In seiner biografischen Graphic-Novel versucht Lars Fiske herauszufinden, was den großen Künstler George Grosz antrieb. Zeichnerisch nähert er sich ihm an, bis zu einem Punkt, an dem beide nur noch mit Mühe voneinander zu unterscheiden sind.
„Nein.“, sagt meine Freundin Lisa, als wir es uns am Abend auf dem Sofa gemütlich gemacht haben. Wir haben zu fünft eine Wohnung in Leipzig gemietet, um mehrere Tage auf der Buchmesse verbringen zu können. Für meinen Messe-Samstag ist ein Interview angedacht. Ein Gespräch über das neueste Buchprojekt des norwegischen Graphik-Novel Autors Lars Fiske. Grosz heißt sein Werk schlicht, nach dem Künstler George Grosz, dessen Lebensweg Fiske nacherzählt. Die Besonderheit dieser Künstlerbiografie: sie besteht nahezu ausschließlich aus Bildern. Dabei zeichnet Fiske sogar selbst im Stil des Künstlers.
„Nein, das ist keine schöne Kunst.“ Lisa bleibt dabei, als ich ihr die Grafiken und Gemälde von George Grosz unter die Nase halte. Scharfkantige Striche, überfüllte Bildräume, viele zerstückelte Leiber. Vor allem weibliche Leiber und männliche Lustmörder. Was reizte Lars Fiske an diesen grotesken Bildwelten? Ist diese Kunst heute überhaupt noch vertretbar?
Zum Glück habe ich auf der Buchmesse die Chance, den Autor selbst zu fragen. Anderntags setzt sich Lars Fiske mit mir, als wäre es ganz selbstverständlich, nach draußen auf den gepflasterten Boden. Hier befinden wir uns etwas abseits des lauten Messegetümmels.
Das Ende von allem darstellen
„Ich schätze, es war keine gute Zeit für Frauen der Weimarer Republik.“ Lars Fiske sieht nachdenklich auf die Zeichnungen, die er mitgebracht hat. Er deutet auf eine bekannte Grafik von George Grosz: „Der Lustmord in der Ackerstraße. Dieses Poster hängt heute über meinem Computer. Ein Bild von einer Frau ohne Kopf, geschlachtet. Und der Mörder wäscht hinter ihr seine Hände. Es war meine Frau, die dieses Poster zuerst hatte und sie spielte oft dieses Spiel mit ihrem Mitbewohner, bei dem sie Wein tranken und währenddessen diskutierten, wo der Kopf war. Das ist krank. Es ein krankes Bild. Und erst jetzt fange ich langsam an zu verstehen, was ihn daran fasziniert hat. Er war daran interessiert, wie tief Menschen sinken können. Er würde das den totalen moralischen Zusammenbruch nennen. Das ist einfach das Ende von allem. Was kommt danach? Es gibt kein Danach. Es ist einfach schrecklich.“
In Grosz‘ Kunst werden nicht nur Frauen als Mordopfer und Lustobjekte dargestellt. Reiche werden zu aufgedunsenen Trinkern, Kriegsversehrte sinken über ihren Prothesen als Häufchen Elend zusammen. Kein Wunder, dass diese Kunst auf meine Freundin Lisa so abschreckend wirkt. Dabei lassen Grosz‘ Arbeiten aber nicht einfach nur Lust an der Brutalität erkennen, sondern vor allem einen hoch kritischen Umgang mit Gesellschaft und Politik in der Weimarer Republik.
Elemente des totalen moralischen Zusammenbruchs finden sich auch in Fiskes Grosz-Biografie. Doch gerade die tragischsten Momente machen das Buch oftmals komisch. Während des ersten Weltkrieges verschafft sich Fiskes Grosz eine Auszeit vom Kriegsdienst, indem er kopfüber in eine Latrine springt. Das Lachen bleibt mir im Halse stecken, als der Graphic-Novel-Autor mir bestätigt, dass diese Szene nicht einfach auf seine künstlerische Freiheit zurückgeht, sondern sich wirklich so ereignet hat. Erst jetzt wird mir bewusst, wie übergangslos Biografie und eigenständiges Kunstwerk in dieser Graphic Novel ineinanderfließen. Liebe zum Detail, Anspielungen und Mehrdeutigkeiten machen ihren Reiz aus. Man sieht ihr das eindeutige „Ja“ zu Grosz‘ Arbeiten an.
Gefährliche Zeichenutensilien
Ich bin glücklich, wenn ich diese wunderschöne Kunst sehe
„Ich bin glücklich, wenn ich diese wunderschöne Kunst sehe.“, bestätigt Lars Fiske. „Die Augen suchen sich die Künstler aus, denen ich mich verbunden fühle. Im Grosz-Buch geht es wirklich darum, wie er zu zeichnen. In gewisser Weise auch darum, wie er zu sein, innerhalb der Zeichnungen.“
Lars Fiske lässt der Künstler in seiner Biografie durch die Straßen Berlins wandeln, wo er auf Kriegsversehrte und Bettler trifft, gleich neben Spieltischen voller Geld und Champagner: „Er geht nur herum auf ganzen drei Seiten. Aber es geht darum, was er sieht und wie er reagiert. Und was er schlussfolgert, fast schon höhnisch. In den späten 1920er und frühen 1930er Jahren sagte er: Das funktioniert nicht, weißt du. Das ist nicht gut. Das kann nicht gut gehen.“
Es ging nicht gut. Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 flieht Grosz nach New York. Hier, im Land seiner Kindheitsträume wird seine Kunst weicher, zärtlicher. In Fiskes Grosz-Buch nimmt die Zeit in Amerika vergleichsweise wenig Platz ein. Für den Autor ist Grosz‘ gesellschaftskritische Schaffensphase für die Entwicklung des Künstlers entscheidender: „Ich glaube, er dachte wirklich, dass er zu hart gewesen war. Er war zu brutal gewesen und zu engstirnig. Er fühlte, dass er die Dinge nicht von genügend Seiten gesehen hatte. Aber es war eine schreckliche Zeit und er musste eine Entscheidung treffen, um seiner Kunst eine Richtung zu geben. Es ist ein Klischee, dass Kunst eine Waffe sein könne, im Sinne von ‚Der Zeichenstift ist das Schwert‘. Was er natürlich eigentlich nicht ist. Aber Grosz hatte einen gefährlichen Stift! Einen sehr gefährlichen. Nur eine Woche, nachdem er ausgereist war, kamen die Nazis und zerschlugen seine Tür mit einer Axt. Sie kamen in sein Atelier und beschlagnahmten seine Arbeit. Viele Freunde fragten ihn: Woher wusstest du, dass das passieren würde? Und er antwortete nur: Wie konntest ihr es nicht wissen?“
Doch damit endet die Grosz-Biografie noch nicht. Gut ist, dass man in einem Interview auch über das Ende eines Buches reden darf, selbst wenn man es im Artikel später nicht verraten möchte. So viel darf ich sagen: selbst, wenn es sich bei Lars Fiskes Grosz‘ um seinen Alter Ego handelt, ist das Ende des Buches ganz anders, als der Autor sich sein eigenes vorstellt. „Ich bin ziemlich sicher, dass der letzte Rahmen in meinem eigenen Comic-Buch sehr gewöhnlich sein wird, einfach leer und schwarz. Da gibt es wirklich nichts weiter. Oder weiß.“ Ich bin ziemlich sicher, dass ich nachher Lisa gestehen muss, wie sehr ich mich in die Arbeit von George Grosz verguckt habe. Und in die von Lars Fiske.
Das Interview wurde in englischer Sprache geführt. Lars Fiske: Grosz, Avant-Verlag 2019.
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