Die englische Journalistin Reni Eddo-Lodge schreibt clever und leicht verständlich über strukturellen Rassismus, White Privilege, Feminismus, soziale Ungerechtigkeit, Politik und die Geschichte Englands seit der Sklaverei. Ein Buch, das berührt und klüger macht.
2014 schrieb die englische Journalistin und Antirassismus-Aktivistin Reni Eddo-Lodge einen Blogbeitrag mit dem Titel „Why I don’t talk to white people about race anymore“. Dieser Artikel hatte zur Folge, dass sie seit Jahren kaum etwas anderes tut, als (mit Weißen) über Hautfarbe zu sprechen. Doch es ging nie darum, dass sie nicht mit weißen Menschen diskutieren wollte, sondern es ging um jene Menschen, die strukturellen Rassismus und White Privilege leugnen. Aus Selbstschutz könne sie sich diesen Auseinandersetzungen nicht mehr stellen, da sie zu viel Schaden anrichten und zu wenig Gutes bewirken, so schreibt sie. Nun hat Eddo-Lodge ein Buch geschrieben. In „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ – im Original „Why I don’t talk to white people about race anymore“ – geht es um strukturellen Rassismus und um die Frage wie er im Zusammenspiel mit anderen Diskriminierungen eine Gesellschaft schafft, die People of Color systematisch benachteiligt. Das Vorwort endet mit den Worten:
Ich werde nie aufhören, über Hautfarbe zu sprechen. Jede Stimme, die sich gegen Rassismus erhebt, kratzt an seiner Macht. Wir können es uns nicht leisten zu schweigen. Dieses Buch ist ein Versuch zu sprechen.
Eddo-Lodge schreibt anschaulich und verständlich. Sie erzählt von soziologischen, feministischen, politischen, aktivistischen, psychologischen, gesellschaftlichen und persönlichen Betrachtungen und Erfahrungen. Außerdem erzählt sie die Geschichte Großbritanniens seit der Sklaverei, denn man könne die Gegenwart nur aus der Geschichte verstehen. Das Buch, das für all das nur 236 Seiten braucht, eignet sich gleichermaßen als Einstieg in das Thema wie auch als Vertiefung. Besonders überzeugend ist die Analyse, da sie intersektional angelegt ist. Es gibt sehr spannende Kapitel zu Feminismus und sozialer Klasse, doch das systemische intersektionale Denken Eddo-Lodges ist in jeder Zeile spürbar. Die Autorin schafft es, der Komplexität des Themas gerecht zu werden, ohne dass die Lesbarkeit darunter leidet.
Dass die Beispiele in der Regel eng mit Großbritannien verknüpft sind, dürfte für deutsche Leser*innen keinen Nachteil darstellen, da die Dynamiken übertragbar sind und sich Muster wiedererkennen lassen. Außerdem ist es in diesem historischen Moment besonders spannend, den Fokus auf Großbritannien zu legen. Jetzt, wo sich ganz Europa fragt, was in der britischen Gesellschaft passiert und wie es weitergehen wird. Wer wird wohl zuerst und am meisten darunter leiden, wenn sich die soziale, politische und wirtschaftliche Lage in Großbritannien weiter anspannt? Bei der Lektüre von Eddo-Lodges Buch bekommt man eine ganz gute Vorstellung.
Präzise analysiert die Autorin die zwischenmenschlichen und alltäglichen Aspekte von Rassismus und dabei wird deutlich, dass dieses Thema wirklich alle angeht: die Betroffenen und die Unreflektierten, aber auch besonders die reflektierten Menschen werden hier angesprochen.
Wir sagen uns, dass gute Menschen nicht rassistisch sein können. Wir glauben offenbar, dass nur böse Menschen echte Rassisten sind. Wir sagen uns, bei Rassismus gehe es um moralische Werte, wenn es tatsächlich um eine Überlebensstrategie systemischer Macht geht.
Das könnte auch für Deutschland kaum aktueller sein. Frei von Rassismus ist niemand. Antirassismus bedeutet ein ständiges Auseinandersetzen und Hinterfragen, das alle leisten müssen. Der Appell gilt vor allem den weißen Menschen, für die die Machtstrukturen gemacht sind:
Das Perverse an unserer derzeitigen ethnischen Hierarchie ist, dass es denen ganz unten zufällt, sie zu verändern. Doch Rassismus ist ein weißes Problem. Er offenbart die Ängste, die Scheinheiligkeit und die doppelten Standards des Weißseins. Es ist ein Problem in der Psyche des Weißseins, und Weiße haben die Verantwortung, es zu lösen. Von außen kann man nur beschränkt Einfluss nehmen.
Eddo-Lodge macht mit sehr klaren Beobachtungen und Analysen ein umfangreiches Gesprächsangebot. Nun ist es für uns alle an der Zeit, ernsthaft über Hautfarbe und Rassismus zu sprechen.
Reni Eddo-Lodge: Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche. Aus dem Englischen von Anette Grube. Tropen Verlag 2019.
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