Fool on the Hill von Matt Ruff: Cover

Matt Ruff – Fool on the Hill

Elfen und Kobolde, rassistische Hunde, Bohemier mit Namen wie Löwenherz und Ragnarök, schreibende Affen, St. Georg – das sind alles Charaktere aus Matt Ruffs märchenhafter Campusgeschichte Fool on the Hill. Man könnte sich fragen, ob das überhaupt funktionieren kann. Fazit vorweg: Es kann – und wie!

Fool on the Hill von Matt Ruff: Cover
Fool on the Hill © Clemens Polywka

Matt Ruff, geboren als Matthew Theron Ruff im Jahr 1965, ist in erster Linie für seine in gleichem Maße grandiosen wie verstörenden Romane G.A.S. Trilogie der Stadtwerke (1997) sowie Ich und die anderen (2003) bekannt. Ersterer handelt von umweltaktivistisch geprägter Gesellschaftskritik, letzterer von multipler Persönlichkeitsstörung und der verzweifelten Suche nach Ordnung; beide waren ausgesprochen erfolgreich. Ihnen voran gestellt ist allerdings der nicht ganz so bekannte Debütroman des in New York geborenen Autors: Fool on the Hill (1988). Taufrisch ist das Erstlingswerk zwar nicht mehr, der Stoff ist allerdings in all seiner Vielfalt immer aktuell.

Der Roman war zugleich die Magisterarbeit des Autors im „Creative Writing“, die er im Alter von 23 Jahren an ebenjener Cornell University einreichte, die Haupthandlungsort seiner Geschichte ist. Leider spiegelt der Text wohl nicht die tatsächlichen Zustände dort wider – das wäre wohl zu schön um wahr zu sein…

Fool on the Hill – Der verzweifelte Versuch einer Inhaltsangabe

Mr. Sunshine ist „ein echtes griechisches Original“, das sich in Ithaca niederlässt, um an diesem Ort eine Geschichte stattfinden zu lassen, die es in sich hat. Denn die Geschichten, die Mr. Sunshine – oder vielmehr seine frechen Affen – schreibt, werden immer wahr. Er sitzt in seiner Bibliothek, schaut zuweilen aus dem Fenster und stellt dann erstaunt und manchmal auch erschrocken fest, was er da so angerichtet hat. Diese Metaebene des Mr. Sunshine verschmilzt zusehends mit der fantastischen Welt, die er selbst geschaffen hat. Im Zentrum der Handlung steht S.T. (Stephen Titus) George, seines Zeichens erfolgreicher Schriftsteller, Windbeschwörer und Hundefreund. Er ist auch der titelgebende „Narr auf dem Hügel“, wo er beinahe jeden Sonntag seinen Drachen steigen lässt. Weitere Handlungsstränge begleiten unter anderem die beiden Freunde Blackjack und Luther – der eine ein pessimistischer Manxkater, der andere ein goldiger und schwer religiöser Mischlingshund –, die campuseigenen Elfen und Kobolde mit Namen aus Shakespeare-Stücken sowie die Studentenverbindungen der Bohemier und Tolkienia.

Aufgrund der vielfältigen Handlungsverläufe, die anfangs scheinbar nichts miteinander zu tun haben, ist es schwierig, einen kurzen und treffenden Überblick zu geben. Die Erlebnisse der einzelnen Charaktere muten in einer Zusammenfassung außerdem mitunter dermaßen skurril an, dass ein paar Sätze nicht ausreichen, um sie nachvollziehbar aufzuschlüsseln. Nur ein Beispiel: Blackjack und Luther, Kater und Hund, sind dicke Freunde und nachdem Luthers Freund Moses von einem Auto angefahren wurde und stirbt, möchte Luther ihn gerne im Himmel besuchen. Es beginnt eine abenteuerliche Reise, bei der die beiden Luthers Nase folgen, die sie schließlich auf den Campus der Cornell University führt, wo sie auf George und die anderen Campusbewohner treffen und unter anderem gegen eine mörderische Gummipuppe kämpfen müssen. Wie die beiden sich verständigen? Per Telepathie natürlich; es würde ja auch unfassbar albern aussehen, wenn sich die zwei ständig ankläffen und -maunzen würden.

Dieser und die anderen Handlungsstränge laufen letztlich im finalen Kampf gegen das „Böse“ in Gestalt von Rasferret dem Egerling zusammen, den George unabsichtlich befreit. Das man einen Grabstein auf einem gruseligen Friedhof, auf dem auch noch „Pandora“ steht, besser in Ruhe lassen sollte, hat er nun hoffentlich gelernt. Weitere Fieslinge sind der Rattengeneral Zer und seine fiese Rattenarmee, ein wirklich fieser grüner Drachen und ein wirklich ausgesprochen fieser irischer Wolfshund namens Drakon.

Eine bessere Inhaltsangabe kann man wohl nicht liefern, ohne noch mehr von der Handlung zu verraten. Zum besseren Verständnis der verworrenen Handlung und um einen Eindruck der rasanten und gewitzten Erzählweise zu vermitteln hier noch ein Zitat. Man könnte es ganz salopp mit „Der Einmarsch der Bohemier“ betiteln:

„Zwei Tage nach Luthers und Blackjacks Zusammenstoß mit Drakon erlebte die Stadt Auk in knapp zwei Stunden genug Aufregung für hundert Jahre (…). Der Zwischenfall erwuchs aus einer verrückten, unausgegorenen Mischung aus Besuchern, die schubweise, wie aufeinanderfolgende Wellen von Vandalen, in Auk einfielen: drei Jäger, zwei Bärenjungen, vier Nonnen in einer umgebauten Limousine, ein ausgewachsener Bär, siebeneinhalb versprengte Rocker, auf dem Rückzug nach einem Bandenkrieg in Rhode Island, und zwei methodistische Urlauber, deren einer an Hämorrhoiden litt. Und mittendrin Cornells selbsternannte Hüter der Nonkonformität. Die Bohemier.“

Ein Autor, der bewusst Grenzen sprengt

Das Buch entzieht sich jedem Versuch einer Kategorisierung. Müsste ich mich festlegen, würde ich es wohl als parodistischen Fantasy- und Science-Fiction-Roman bezeichnen, der sich unter der skurril anmutenden Oberfläche mit ernsten und stets aktuellen Themen wie Rassismus, Selbstbestimmung und Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzt. Es untersucht beinahe beiläufig und unfassbar komisch die Auswirkungen von Gruppendynamik und hält sich weder inhaltlich noch strukturell an dem Leser bekannte und bewährte Vorlagen; das macht die Lektüre zuweilen etwas aufreibend, aber auch sehr spannend und vor allem unterhaltsam. Man gerät trotz der verschlungenen Handlung schnell in einen Leserausch und die handelnden Personen, Wesen und Tiere sind so individuell und liebevoll ausgestaltet, dass es nicht schwerfällt, sie ins Herz zu schließen.

Zuweilen wirkt die Geschichte etwas überladen, stecken darin doch eine große Lovestory, philosophische Debatten, jede Menge Abenteuer und die Gefühlswelt von fast 50 Charakteren. Dem Autor gelingt es jedoch, von jedem Handlungsstrang und jedem Einblick in die Emotionen einer Person die richtige Dosis an der richtigen Stelle zu platzieren, sodass man sich nicht buchstäblich im Buch verirrt.

Die deutsche Übersetzung von Ditte und Giovanni Bandini, erschienen beim dtv, ist wirklich sehr gelungen. Wer Zeit und Lust hat, dem sei aber auch das englische Original wärmstens ans Herz gelegt. Die Sprachgewalt und -gewitztheit des jungen Autors ist wirklich bemerkenswert.

Fazit

Ein furioser und märchenhaft anmutender Roman mit einem großen Inventar liebenswerter Figuren und Kapiteln mit Titeln wie „Klink, Klang, Klonismus“. Der Leser muss sich auf die komplexe Handlung und Sprache einlassen, dann entfaltet die Geschichte ihr volles Potential. Wer möchte, kann sich über die fantastische Handlung mit Rassismus und Klassendenken auseinandersetzen oder sich einfach von der Geschichte tragen lassen. Man schließt das Buch in jedem Fall mit einem guten Gefühl, nachdem man den titelstiftenden „professionellen Lügner“ (auch als Schriftsteller bekannten) George genau da verlässt, wo alles begonnen hat: An einem eigentlich windstilßlen Tag auf einem Hügel, wo er seinen Drachen steigen lässt.

 

Matt Ruff: Fool on the Hill, dtv 2001 (Deutschsprachige Erstausgabe im Carl Hanser Verlag 1991)

 

Letzte Artikel von Marlene Polywka (Alle anzeigen)

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen