© Sofie Mörchen, nach einer Idee von Leonie Hohmann.

Ich hasse Menschen

Morgens in der vollgepackten U-Bahn oder an der Kasse beim Vor-Feiertagseinkauf hat es wohl jede*r schon im Stillen gedacht: „Ich hasse Menschen.“ Slam-Poet Julius Fischer schreit es nun auf äußerst amüsante Weise bei Voland & Quist hinaus. ¦ Wie ich meinen Freund*innen ungefragt aus einem Buch vorlas, ohne dass sie protestierten.

© Sofie Mörchen, nach einer Idee von Leonie Hohmann.
© Sofie Mörchen, nach einer Idee von Leonie Hohmann.

Dieser Roman ist anders als die Bücher, die ich sonst für Litaffin bespreche und deswegen beginnen wir das ganze mit einem Credo aus dem vorliegenden Werk:

Überhaupt ist jede Ansammlung von Leuten kaum für mich zu ertragen. Vor allem, wenn die Gemeinschaft ungewollt entsteht, auf dem Amt oder in einem Flugzeug.

„Oder in der Schlange an der Kasse. Oder in der U-Bahn“, vervollständige ich in Gedanken Julius Fischers Ausführungen auf der ersten Seite seines Romans Ich hasse Menschen. Und ich bin sofort Feuer und Flamme, denn Julius Fischer hasst auf so herrlich amüsante Art und Weise und findet Worte für das, was ich in meinem Alltag in unerträglichen Zufallsgemeinschaften meist mit einem ausgedehnten Augenrollen quittiere.

Auf Zugfahrten wird doch jede*r zum „Hater“, oder?

Was mit einem nervtötenden Möhren(fr-)esser auf einer Zugfahrt beginnt, wird bald zum Ausgangspunkt für Fischers Hasstiraden zu verschiedenen Situationen, in denen seine Mitmenschen ihn in den Wahnsinn treiben:

Ich bin schwach. Ich kann mir keinen anderen schönen Ort vorstellen als einen Zug. Ich kann einfach nicht. Und ich kann mir auch keinen anderen Zeitpunkt vorstellen als ebenjenen, in welchem ein Zug auf freier Strecke zum Halten gekommen ist. Ich hasse meine Gedanken.

Zumindest gelingt es dem Erzähler, der wohl ein autofiktionales Ego Fischers ist, seine Gedanken von der gegenwärtigen Zugfahrt auf eine vergangene zu richten, auf der er mit Lesebühnen-Kollegen wie Marc-Uwe Kling unterwegs gewesen ist. Spätestens mit der Brettspiel-Episode auf der Zugfahrt holt mich Fischer komplett ab:

Wir begannen mit dem Game. Ziel des Spiels war es, unter dem Zwergenwald einen Dungeon zu erforschen. Dafür musste abwechselnd gewürfelt, geschnickschnackschnuckt und armgedrückt werden […] und immer wenn mindestens zwei Sechsen gewürfelt wurden, wurde das Spielbrett auf die andere Seite gedreht. Oder wenn eine blau Drei gewürfelt wurde. Oder ein Hackbraten. Ja, Hackbraten. Es war bekloppt.

Ein Spiel, bei dem ständig die absurden Regeln nachgelesen und laut referiert werden müssen, ist mit Sicherheit auch nervig für alle Mitreisenden im Großraumabteil. Doch die haben den Spielverlauf gut im Blick und beteiligen sich mit Rat und Tat:

„Und einer dieser Hackbraten ist medium rare“, gab der Schaffner zu bedenken. Ich schaute völlig verwirrt in die Runde, dann aufs Spielbrett, dann in die Regeln. „Das denkt ihr euch doch alles aus!“, rief ich. „Dürfen wir ja auch. Steht hier!“, sagte Marc-Uwe und zeigte auf Regel 103. Und es stimmte leider. In der Spielanleitung stand: „Alle dürfen Regeln erfinden, außer Julius Fischer.“

Der Erzähler als Identifikationsfigur

Warum holt mich jedoch gerade diese Episode so ab? Vielleicht liegt es daran, dass auch ich mich immer wieder von Freund*innen breitschlagen lasse, Spiele zu spielen, deren Regeln allen Beteiligten einleuchten außer mir. Und da ist noch was: Ganz so übel wie dem Erzähler ist es mir doch noch nicht ergangen; scheint er sich doch permanent zu fragen „Warum immer ich?“ und womöglich ist jeder meiner Schmunzler auch ein erleichtertes Aufatmen, dass es diesem Erzähler mit seinen Mitmenschen übler ergeht als mir.

Aus der Sicht des Slam Poeten

Als Fischer einen Literaturagenten wegen einer potenziellen Zusammenarbeit trifft, wird sein vorliegender Roman zur bissigen Buchbranchenparodie. Von den harten Anfängen als Slam Poet, die er ebenfalls beschreibt, bis zu diesem Treffen muss es ein weiter Weg gewesen sein und nun wird jede seiner Ideen abgewiegelt. Trotzig tischt er die Idee von einem Buchmessenführer auf:

Fühlen Sie sich dumm und unbelesen? Hängt Ihnen das Internet zum Halse heraus? Haben Sie gar jegliche Fantasie verloren? Dann kommen Sie zur Leipziger Buchmesse.

Fazit

Julius Fischers Roman ist ein Teufelskreis. Während der Roman Verständnis für meine Wutanfälle aufbringt und mich dann auch noch erleichtert auflachen lässt, mache ich mich bestimmt zum Hassobjekt anderer Mitmenschen. Schließlich lese ich am liebsten in der Bahn. Dennoch ist das der Ort, den ich für die Lektüre des Romans ans Herz legen möchte: Liegt hier doch der allzeit anheizbare Krisenherd für Fischers Hass. Und dann ist da noch die Sache mit der Glaubwürdigkeit des Autors:

Denn ist das Vertrauen der Leser dahin, muss man doch wieder Bedienungsanleitungen schreiben oder Speisekarten lektorieren. Oder bloggen.

Die Machart des Romans lädt nicht nur zum Selbstlesen ein. Die episodenhaft in einander fließende Erzählstruktur mit viel Komik, drastischen Beschreibungen und direkter Rede prädestiniert das Werk für die (Lese-) Bühne. Hier verbinden sich Julius Fischers Berufsstände als Slam Poet, Kabarettist, Autor und Kleinkünstler. Wer den Roman also am liebsten aus dem Mund desjenigen hören möchte, der das alles angeblich erlebt hat, kann sich freuen.

Julius Fischer auf Tour mit Ich hasse Menschen

Zurzeit tourt Fischer nämlich mit dem lesebühnentauglichen Roman durch die Republik. Schon Mittwoch gastiert er mit seiner Lesung im Mehringhof Theater in Berlin. Diesen und alle weiteren Lesungstermine gibt es hier.

Wie es ist, wenn Fischer über verhasste Menschen spricht, könnt ihr in diesem Video anschauen, in dem er den gesamten ersten Teil des Romans präsentiert:

Julius Fischer: Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung. Voland & Quist 2018. Klappenbroschur, 160 Seiten. 16,00 Euro.

 

 

 

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