Andreas Maier „Die Universität“ (Suhrkamp 2018) © Angie Martiens

Die Universität: Studieren und Vegetieren eines Protagonisten

Halbzeit: Andreas Maiers Die Universität ist seit Februar raus, Band sechs seines elfteiligen autobiografischen Romanzyklus Ortsumgehungen. Für Andreas Maier beginnt die Studienzeit und das junge Leben könnte jetzt richtig Fahrt aufnehmen. Jedoch die Sinnlosigkeit eines Lebens, das bislang nur mit Philosophie, ein bisschen Philologie und ein bisschen mehr Alkohol gefüllt wird, vermag keinen Lebensfrühling zu erwecken – bis Gretel Adorno (ja! Adorno!) mit schmerzhaft langen Fingernägeln und im Rollstuhl erscheint. Ein kurzer Roman, der erzählerisch vor sich hin schleicht, an dessen sprachlichem Können und Witz man jedoch seine Freude haben kann – inklusive selbstkritischem Humor für Geisteswissenschaftler*innen.

Andreas Maier „Die Universität“ (Suhrkamp 2018) © Angie Martiens
Andreas Maier „Die Universität“ (Suhrkamp 2018) © Angie Martiens
Andreas Maier und junge Literatur?!

Andreas Maier ist sicherlich kein Autor, den man gemeinhin unter dem Schlagwort ›junge Literatur‹ führen würde: Promovierter Germanist (übrigens mit einer Dissertation zu Thomas Bernhard), der mit 16 Werken im Suhrkamp Verlag mittlerweile zum Establishment zu zählen wäre und mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet wurde. Eines der Sahnehäubchen ist sicherlich auch die Frankfurter Poetik-Dozentur, die er 2003 inne hatte und die als Ich (Suhrkamp 2006) veröffentlicht wurde.

Was nun treibt Andreas Maier auf unseren Blog zum jungen Schreiben? Der Bogen ist über die literarische Thematik zu spannen: Sein neuer Roman Die Universität greift ein Thema auf, das prozentual wohl für Menschen unter 30 am aktuellsten sein dürfte. Die Universität ist der sechste Teil von Maiers ambitioniertem Großprojekt Ortsumgehungen, ein Zyklus für den er nicht weniger als elf Bände geplant hat – dabei gut durchkonzipiert, denn wie er im Interview mit Deutschlandfunk Kultur verlauten ließ, stehen bereits seit Projektbeginn 2009 alle elf Titel fest.

 

Die Universität – Der Beginn eines (fast) ereignislosen Lebensabschnitts

Romane mit autobiografischen Narrationen sind es, die sich in den Ortsumgehungen zentralen Lebensthemen und ‑stationen widmen. In Die Universität ist der Protagonist Andreas Maier nun in der vermeintlich blühendsten und abenteuerreichsten Lebensphase angekommen: Er ist Anfang 20. Doch Abenteuern geht er eher aus dem Weg: der Roman steigt mit Andreas‘ Abbruch einer geplanten Italienreise – wozu Italia wenn man das beschauliche Butzbach bei Frankfurt am Main vor der Haustür hat? Recht phlegmatisch und antriebslos ist dieser junge Mensch, der einer leicht verdorrten Zimmerpflanze gleicht: Ein an Frische erinnerndes Grün kann sie schon aufweisen, aber Blüten wollen hier dann doch nicht sprießen. Das Studium der Philosophie, Germanistik und Altphilologie an der Frankfurter Universität kann an seiner Lethargie auch nichts ändern. Vielmehr bereitet ihm dieses, ausgelöst durch das mittägliche Mensaessen, sogar erhebliche Magenprobleme. Die wiederum führen zu starkem Alkoholkonsum – zur Beruhigung der Verdauung, versteht sich. Andreas verbringt den weitestgehend ereignislosen Alltag mit einigen Versuchen, poetische Erzählungen zu verfassen, die vom Meta-Andreas, dem Autor, mitunter in den Roman eingewoben werden. Assoziative Erzählungen, die sich hier plötzlich und rasant entspinnen können.

Größtenteils namenlos und unwirklich bleiben die Neben-Figuren, einschließlich seiner großen Jugendliebe, der perpetuiert angehimmelten „Butzbacher Buchhändlertochter“ – bis auf jene eine Große gegen Ende des Romans: Gretel Adorno, Frau des Philosophen der Frankfurter Schule Theodor W. Adorno. In Gestalt einer Patientin, die Andreas in seinem Nebenjob als Pfleger besucht und umsorgt, tritt sie auf; als Patientin, die regelmäßig die jungen Pfleger*innen verschleißt, weil sie sich seit ihrem gescheiterten Selbstmord in einem geistig und sozial schwierigen Zustand befindet. Gretel Adorno, die in Arme und Hände der Pfleger*innen hakt und diese beschimpft, vermag nun das für unmöglich Gehaltene: Sie weckt Andreas‘ Anteilnahme, gar eine engagierte Haltung.

 

Pathos fürs Kleine

Zu den starken Momenten des Romans zählen jene, die in banalen und unscheinbaren Situationen großen Pathos entwickeln – Inszenierungen des Kleinen als das Größte. Aus dieser Diskrepanz entwickelt Die Universität Humor und sympathische Züge des lethargischen Protagonisten:

Ich steckte den Doktor Faustus enttäuscht wieder in den Rucksack. Dennoch sangen die Vögel im Park auf erbarmungslose Art weiter. Sie wollten mich unbedingt zu etwas hinführen, schien mir, und die Blüten wollten es gleichfalls, übrigens auch der Himmel, sein Blau (das Wetterauer Blau) und jede Wolke in ihm. Als sei das alles vollkommen und wie eigens für mich in diesem Moment gemacht. (S. 18f.)

Ebenfalls zu den starken Stellen gehört Andreas‘ Gestus soziologischer Beobachtungen. Die Philosophiestudierenden an der Frankfurter Universität der späten 1980er scheinen sich – trotz Bolognia – habituell kaum von heutigen zu unterscheiden:

Die Philosophiestudenten begannen ab einem gewissen Zeitpunkt in einem spezifischen Jargon zu sprechen. Es war, als hätten sie eine neue Sprache gelernt. In dieser Sprache verhandelten sie zwar dieselben Sachverhalte wie vorher, jedoch in neuen und anderen Wortlauten. Überall gerieten lateinische Einsprengsel dazwischen, und kaum ein Satz kam ohne Wörter wie »evident«, »heuristisch«, a priori oder »Bedingungen der Möglichkeit von« aus. (S. 99)

Geisteswissenschaftlicher Habitus at its best! Damals wie heute. Diese aufgrund ihrer scheinbaren Zeitlosigkeit so amüsanten Beobachtungen werden immer wieder eingesprengt.

 

Aufgebrochene Erzählstruktur oder: Aufgreifen und Fallenlassen

Die Universität schleicht erzählerisch vor sich hin; folgt keinem Handlungskern. Dies führt zu einer recht spannungslosen Narration dieses autobiografischen Romans, doch unterstreicht es auch den Charakter des Protagonisten wie auch den des Lebens selbst, das allzu oft dazu neigt, vor sich hin zu mäandern. Leider werden manch literarische Ideen mit spannendem Potenzial begonnen, aber nicht voll ausgebaut. Sie werden zwar zuweilen wieder aufgegriffen, aber kaum strukturiert entfaltet. So etwa das Motiv des Verlustes der eigenen Person – eine Klappentext-Zuschreibung des Suhrkamp Verlags selbst. Begonnen wird dieses Verlust-Motiv gleich zu Beginn mit einer dialogischen Erzählstruktur zwischen dem Ich der Figur Andreas und einer Stimme in seinem Kopf, die ihn permanent in selbstgefälligem Ton kommentiert. Diese Erzählstruktur, die ein destruiertes Ich suggeriert, wird nach dem Einstiegskapitel jedoch völlig fallen gelassen. Lediglich gegen Ende des Romans wird erneut ein Bezug zur Ich-Destruktion konstruiert, als das erzählerische Ich anlässlich einer Hausarbeit zum Thema der Identität bei Hume, welcher Identität als Fiktion begriff, erwähnt, dass es sich nunmehr als Zusammenschluss mehrere, miteinander unverbundener Personen verstehe. Mit Nichten muss interessante und ‚gute‘ Literatur zwangsläufig einem Kriterium der Kohärenz gerecht werden, doch fügt sich dieses Aufgreifen und Fallenlassen hier auch nicht zu einem besonders experimentellen Konzept zusammen, sondern bleibt schlicht das, was es ist: ein Aufgreifen und Fallenlassen.

 

Andreas und seine Universität sind des Lesens wert

Die Lektüre von Andreas Maiers Die Universität lohnt sich dennoch. Die sprachlich gekonnten und amüsanten Momente überragen kleinere Mankos und Durststrecken. Und allein diese leicht desolate Figur des Andreas, die mitunter vom Leben nichts weiter möchte, als auf einer Butzbacher Parkbank mit Butzbacher Vögeln um sich herum Thomas Manns Doktor Faustus zu lesen, allein diese Figur ist des Gelesen-Werdens wert.

 

Andreas Maier, Die Universität
Suhrkamp Verlag, Februar 2018
147 Seiten, 20,-€
Angie Martiens
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