Der Berliner Verlag Friedenauer Presse, der 1963 aus einer Buchhandlung im beschaulichen Friedenau hervorging, stand im vergangenen Jahr vor der Schließung. Friederike Jacob (zuletzt Kein & Aber) hat den Verlag zusammen mit Andreas Rötzer (Matthes & Seitz Berlin) vor dem Aus bewahrt – und wagt das spannende Projekt, einen Verlag weitestgehend alleine zu leiten. Die Ungebundenheit sowie die Möglichkeit, die Entstehung vom rohen Text zum fertigen Buch selbst zu leiten, schätzt sie dabei. Die Freiheit und die große Bandbreite an Berufsmöglichkeiten für Geisteswissenschaftler*innen führt sie gegen die unsicheren Jobaussichten junger Absolvent*innen der Geisteswissenschaften ins Feld. Friederike Jacob im Gespräch für „Und was macht man damit?“
Was wolltest du als Kind werden?
Einen Reiterhof haben. Man mag darin vielleicht schon erste Tendenzen zur Führung eines eigenen Betriebs erkennen – aber eigentlich war ich einfach nur verrückt nach Pferden.
Was hast du studiert und warum hast du dich dafür entschieden?
Slawistik bzw. Literaturwissenschaft hier in Berlin an der Humboldt Universität. Zuerst hatte ich in Leipzig das Studium der Germanistik und Geschichte angefangen. Die germanistische Literaturwissenschaft hat mir auch großen Spaß gemacht. Ich habe immer gerne gelesen; es war spannend plötzlich mit einem Instrumentarium an die Texte heranzugehen. Tatsächlich habe ich das Studium in Leipzig einfach aufgrund der damals schlechten Studienbedingungen aufgegeben. In dem zulassungsfreien Studiengang saß man oft mit hundert Leuten im Hörsaal. Klausuren in den Einführungskursen schrieb man mit 200 Leuten gleichzeitig. Darauf hatte ich keine Lust.
Meine Studienwahl war keine wohlüberlegte, analytische Entscheidung. Sie war vielmehr von Neugierde geprägt. So auch bei meinem zweiten Anlauf in der Hochschullandschaft.
Zur Slawistik kam ich über das Interesse an dem geografischen Raum. Ein Großonkel fiel während des zweiten Weltkriegs in sowjetischer Gefangenschaft, später wurde er Professor für Russische Philosophie. Seine Lebensgeschichte hat mich sehr beeindruckt. Dann war ich in meiner Kindheit mit einer bosnischen Familie befreundet, sie war in den 1990ern vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland geflohen. Auf ihrem Sofa lernte ich ein wenig Bosnisch und nahm auch ihr Kriegstrauma wahr.
Wusstest du schon während deines Studiums, in welchen Beruf du möchtest?
Definitiv nicht. Das war aber auch gar nicht schlimm. In den Geisteswissenschaften herrscht leider die omnipräsente Angst, mit dem Studium keinen Job zu finden. Ich störe mich daran, denn die Zahlen zeigen zwar, dass Geisteswissenschaftler*innen nach dem Abschluss vergleichsweise etwas länger auf Jobsuche sind – und sicherlich muss man sich auch von der Idee verabschieden, das gleiche Gehalt wie Studierte aus Jura oder Medizin zu bekommen –, doch in der Regel haben fast alle nach einem Jahr eine Stelle. Es ist doch absolut doof, sein ganzes Studium unter dem Vorzeichen der Angst zu verbringen.
In den Geisteswissenschaften lernt man in erster Linie das Denken – und das ist beruflich vielfältig einsetzbar. Konkrete Fähigkeiten und Kenntnisse lassen sich dann später in der Berufspraxis aneignen. Vielen ist das scheinbar gar nicht so bewusst. Mein politisches und kulturelles Interesse für den slawischen Raum hätte mich zum Beispiel genauso gut in andere Arbeitsbereiche als das Verlagswesen bringen können, etwa ins Auswärtige Amt oder eine Kulturinstitution. In meiner Arbeit bei Matthes & Seitz habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass sich Menschen aus der Literaturwissenschaft meist nur auf Stellen im Lektorat bewerben, weil es inhaltlich naheliegend ist – aber später stellt sich oft heraus, dass sie mit ihren Fähigkeiten für andere Aufgabenbereiche des Verlags viel besser geeignet sind. Natürlich habe ich im Studium eine gewisse Unsicherheit gespürt und ich war in dem ersten halben Jahr nach meinem Abschluss unzufrieden, weil die Welt nicht auf mich gewartet hatte, aber ich finde, dass man auf seine Fähigkeiten und Kompetenzen vertrauen sollte; und dass man sich dagegen wehren sollte, sich von Unsicherheit beherrschen zu lassen.
Wo hast du während des Studiums Berufserfahrungen gesammelt?
Im Slawistik-Studium gab es ein Praxismodul, in dessen Rahmen habe ich zeitweilig an einem Literaturblog mitgewirkt. Praktika habe ich auch einige gemacht. Außerdem habe ich nebenbei im Flagship-Store eines eye wear labels – eines Brillendesigners – gearbeitet. Dort habe ich auch erst mal eine Stelle im Sales Management angenommen, als ich nach dem Studienabschluss auf Jobsuche war und zunächst nicht fündig wurde. Als sich mir dann nach einiger Zeit eine Stelle im Verlag Matthes & Seitz Berlin eröffnete, habe ich die Chance wahrgenommen.
Wo arbeitest du jetzt und was genau sind deine Aufgaben?
Im letzten Jahr habe ich die Friedenauer Presse übernommen. Der Verlag sollte geschlossen werden, als Katharina Wagenbach-Wolff, die den Verlag alleine geführt hatte, ihren Ruhestand ankündigte. Die Friedenauer Presse zu übernehmen, war eine wirklich spontane Aktion: Mein ehemaliger Chef Andreas Rötzer (Verleger von Matthes & Seitz Berlin) setzte mir diese Idee in den Kopf und kurz darauf konnten wir den Kauf einleiten. Es war wohl auch genau der richtige Zeitpunkt. Man braucht Branchenerfahrung, gleichzeitig aber auch diese Prise Naivität, die einen nicht davor zurückschrecken lässt.
Über Matthes & Seitz Berlin laufen jetzt der Vertrieb, die Verwaltung der Rechte und Lizenzen, während ich das Verlagsprogramm und die Öffentlichkeitsarbeit organisiere. Das schließt die Unternehmensführung ein, genauso wie den Kontakt zu Autor*innen und Übersetzer*innen oder auch die Koordination der Werbung – und die leidliche Arbeit mit Instagram. Das neue Programm haben wir für kommenden Herbst angesetzt. Da der Verlag kurz vor der Schließung stand, wurde sein Betrieb gegen Ende heruntergefahren. Neunzehn lieferbare Titel konnten wir übernehmen. In nächster Zeit besteht meine Aufgabe also auch darin, die Neuauflage vergriffener Bände zu organisieren und das bestehende Netzwerk des Verlags wieder zu reaktivieren. Kurz: Das literarische Erbe der Friedenauer Presse weiterzuführen.
Was inspiriert dich an deiner Arbeit und was gefällt dir daran besonders gut?
Die Freiheit! Den Verlag mehr oder weniger alleine umzusetzen, bringt Unerwartetes mit sich, in das ich mich erst einarbeiten muss – aber mir gefällt die Flexibilität und die Möglichkeit, alle Schritte zu gestalten, außerordentlich gut. Jeder Text ist am Anfang eine Rohware und durch das Lektorat, den Austausch mit den Autor*innen und Übersetzer*innen, die materielle Gestaltung, erschaffen wir das Buch. Das Buch, das andere später freudig in den Händen halten. Dieses Involviert-Sein in allen Schritten ist generell ein Privileg kleiner Verlage. Ich freue mich in jedem Fall unheimlich auf die Leitung der Friedenauer Presse, die ja gerade erst begonnen hat.
- Mit dem Schlaghammer gegen die Erzählkonvention - 24. April 2019
- Vielfalt durch Lesen - 15. November 2018
- From Panels with Love #13: Hundert Jahre – Drei Wege - 11. November 2018