Wer mit dem Gedanken spielt Autor*in zu werden, sollte sich eines klarmachen: In der Literat*innenhölle gilt das Credo: Wie du deinen Leser*innen, so auf ewig dir. So zumindest das höllische Konzept, das sich in Beka Adamaschwilis Roman mit dem optimistischen Titel Bestseller entspinnt und in Georgien zum selbigen wurde. Ein starkes Debüt zum Thema Literatur in Literatur und eine gelungene deutsche Übersetzung von Sybilla Heinze, die Lust auf die Frankfurter Buchmesse 2018 und ihr Gastland Georgien machen.
Beka Adamaschwilis Debütroman Bestseller entspinnt sich um den erfolglosen Autoren Pierre Sonnage. Dieser glaubt einen unfehlbaren Marketing-Coup entwickelt zu haben: Um seinen Ruhm als Schriftsteller zu mehren, will er auf medienwirksame Weise sein Leben beschließen. Er stürzt sich vom höchsten Gebäude Dubais, dem Burj Khalifa. Doch der gewünschte Erfolg stellt sich nicht ein: Pierres Suizid wird von den Medien zunehmend als tragischer Unfall verkannt, seine Bücher verkaufen sich immer noch nicht und vor allem schmort er nun in der Literat*innenhölle.
Der Tod des Autors
Schon mit der Widmung wird den Lesenden klar: Hier stimmt etwas nicht! Eine Buchseite gewidmet den Bäumen, die durch die Notwendigkeit von Widmungen zu Schaden kamen? Ein himmelschreiendes Paradaxon, das nur das erste von vielen weiteren sein wird. Sukzessive werden so ziemlich alle Beiwerke des Buches auf’s Korn genommen, die Genette einst so liebevoll beschrieb. Selbst in seinem Abschnitt zu den Fußnotenromanen hätte sich der Großmeister der Erzähltheorie das nicht träumen lassen: Ein rotzfrecher „Erzähler-Autor“, der in den Fußnoten seine eigenen Anmerkungen kategorisiert, Offensichtliches erklärt, Fragwürdiges offenlässt und zudem seinen eigenen Roman als Bestseller tituliert hat. In Anmerkungen zum Schreibprozess, die den Lesefluss ganz provokativ unterbrechen, findet der Autor, der ein Erzähler ist, seinen Text verbesserungswürdig. Kein Grund, sich nicht in den Fußnoten herrlich unverschämte Kommentare zu den unangefochtenen Stars der Weltliteratur zu erlauben:
Edgar Allan Poes Rabe wiederholt das ganze Gedicht lang ein einziges Wort: Nevermore. Dem Autor kommt jedoch der Verdacht, dass es sich bei dem Raben in Wirklichkeit um einen Papagei gehandelt haben könnte. Und obendrein hatte dieser offenbar einen sehr faulen Trainer.
Um sprachlich im Kosmos des Romans zu bleiben: Obwohl es in Bestseller um tote Autor*innen geht, ist der Erzähler als Autor des Romans omnipräsent und geradezu aufdringlich lebendig. Ob sich Roland Barthes wohl gerade in seinem Grab umdreht?
Eine Ode oder ein Mittelfinger an die Postmoderne? Literatur in Literatur
Dass nicht nur Pierres erfolglose Literatur das große Thema des Romans ist, sondern vor allem auch erfolgreiche Weltliteratur, zeigt das Figurenpersonal der Schrifststeller*innenhölle. Herumgeführt wird Pierre zunächst von keinem geringeren als Dante Alighieri, der die Hölle nun sehr viel weniger schlimm findet als einst in seiner Comedia beschrieben. Vorbei an der Wechselstube „Buddenbrokers“ und dem Wettbüro „MacBet“, geht es in den Club der anonymen Selbstmörder*innen mit Albert Camus und Antoine de Saint-Exupéry. Dort ist auch Agatha Christie anzutreffen. Am Ende des Romans gibt Edgar Allan Poe preis, dass es keinen Himmel für Autor*innen gibt, weil jede*r von ihnen mindestens eine Leser*in gequält habe. Weshalb Pierre dennoch fast ausschließlich Autoren begegnet, bleibt offen.
Durch die Omnipräsenz der Intertextualität besitzt der Roman einen feinsinnigen Witz. Ausgefeilte Wortspiele und Gleichklänge reizen durch die hervorragende Übersetzung von Sybilla Heinze auch die deutschsprachige Lesenden zum hintersinnigen Schmunzeln. Im Zusammenspiel mit den Paratexten wird die Rolle der intertextuellen Verweise derart hervorgehoben, dass sie im Grunde ein spöttischer Gruß oder ein Tribut an die Autor*innen der Postmoderne sind, die das Thema tendenziell subtiler angegangen sind.
Der Teufel steckt im Paratext – die Rolle der Illustration
Da Pierre im irdischen Leben seine Leser*innen mit Rätseln gequält haben soll, ist seine Höllenstrafe ein besonders kniffliges Rätsel. Und die Leser*in rät und kniffelt mit – eine Verfolgungsjagd durch die Schriftsteller*innenhölle beginnt: Graffiti, Bilder, Aufstellungen, Fotografien und herrliche Werbeplakate warten nur darauf, von der Bestseller-Leser*in und Pierre entschlüsselt zu werden. Die Litaffin-Leser*in kann sich exemplarisch an der nebenstehenden Abbildung probieren.
Ein Lesespaß für Belesene und solche, die es noch werden wollen
Ein wilder Höllenritt ist Beka Adamaschwilis Debütroman allemal. Er trägt den Titel Bestseller nicht nur, weil er es verdient hätte, ein solcher auch in Deutschland zu werden. Wer schon einige Bestseller der Weltliteratur gelesen hat, wird seine helle Freude an den intertextuellen Verweisen haben. Wer sich „den Kanon“ erst noch erlesen muss, der weiß nach der Bestseller-Lektüre, was unbedingt noch auf den Stapel gehört. Brühwarm gibt es die Aufklärung der humorvollen Verweise außerdem in den Fußnoten. Der Roman ist ein großer Spaß für Literatur- und Buchaffine, die eine fantasievolle Geschichte mit literaturwissenschaftlich-bedeutungsschwerem Drumherum zu schätzen wissen. Auf die bibliophile Zielgruppe abgestimmt ist daher auch die Machart des Buches mit Lesebändchen.
Beka Adamaschwili, Bestseller, Aus dem Georgischen von Sybilla Heinze, 18 €, Voland & Quist 2017
*Der Georgier Beka Adamaschwili wurde 1990 geboren und studierte ab 2007 Journalismus und Sozialwissenschaften an der Caucasus School of Media. Nach der Veröffentlichung mehrerer Kurzgeschichten, legte er mit Bestseller 2014 seinen Debütroman vor, dessen deutsche Übersetzung im Oktober 2017 bei Voland & Quist erschien. Derzeit arbeitet Adamaschwili als Autor für die Politsatire Daily Pills from Vasiko Odishvili. Warum sich der Jungautor auf die Frankfurter Buchmesse 2018 freut, verrät er hier:
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