Dass es sie immer noch gibt, ist das erstaunliche an den „Vorlesern“. Seit ihrem Start im Juli letzten Jahres hagelt es Kritik für die Literatursendung im ZDF: Zu glatt das Format, zu hektisch der Ablauf, zu aufgesagt die Texte der Moderatoren. Doch geändert hat sich bislang nichts. Noch immer versucht die Sendung das Unmögliche: Acht Bücher in 30 Minuten vorzustellen – dass das nicht gut gehen kann, ahnt jeder, der versucht in 30 Sekunden alle acht Buchtitel plus Autorennamen aufzusagen.
Eigentlich war die Sache gut ausgedacht: Ein literarisches Duo mit zwei unterschiedlichen Perspektiven nimmt sich den Neuerscheinungen des Buchmarkts ebenso wie den zeitlosen Klassikern an. Ijoma Mangold, Literaturkritiker der ZEIT, liefert fundierte Analysen, Amelie Fried, Fernsehmoderatorin und Schriftstellerin, argumentiert aus Sicht der leidenschaftlichen Leserin. Das hätte durchaus Potential – würde man sich Zeit nehmen. Das erste Buch der gestrigen Sendung, „Der Jesus vom Sexshop“ von Helge Timmerberg, wird nach einer Minute wieder beiseite gelegt. „Das beste, was wir hierzulande an Reiseliteratur haben“, sind sich die Moderatoren einig. Was genau die Aufzeichnungen so lesenwert machen soll, bleiben sie den Zuschauern schuldig.
Doch auch wenn Bücher intensiver unter die Lupe genommen werden, wollen die konstruierten Positionen zwischen Fried (Anwältin des gemeinen Lesers) und Mangold (Anwalt der Literaturkritik) nicht aufgehen. Das zeigt sich beim kurzen Disput über Clemens Meyers „Gewalten“. Fried nimmt dem Autor die klischeehaften Charaktere nicht ab. Mangold lobt die psychologischer Zartheit, mit der Meyer seine Figuren zeichnet. Fried bemängelt, die einzelnen Erzählungen hätten keine Spannungsbögen und mäanderten ziellos umher. Mangold erkennt in den wiederkehrenden Motiven das strukturierende Element. Fried findet das eine, Mangold findet das andere. „Wir finden es beide nicht schlecht“, fasst Fried zusammen.
Auch die übrigen Bücher der Sendung bleiben im engen Zeitkorsett blass, obwohl ihre bunten Cover in die Kamera gehalten werden. Mangold präsentiert innerhalb von drei Minuten „Anna Karenina“, „Terra Islamica“ und „Menetekel“. Von den Inhalten bleibt nur ein lautes Rauschen. Das Studiopublikum ist eigentlich überflüssig, es klatscht sowieso zu lange, Fried würgt den Applaus mit einer hektischen Handbewegung ab.
Einziger Lichtblick der Sendung ist die geladene Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader. Sie lässt sich Zeit mit ihren Worten, und da sie nicht vom Teleprompter abliest, findet sie auch die richtigen. Über Zeruya Shalevs „Liebesleben“ sagt sie: „Ich habe dieses Buch inhaliert, kann man sagen. Ich hatte das Gefühl, es sei in einer Geheimsprache geschrieben, und nur ich verstehe das.“ Plötzlich ist er da, der Zauber, den Literatur ausmacht. Eigentlich müssten jetzt die Buchattrappen aus Pappe sanft erröten und von den Studioregalen fallen. Stattdessen liest Schrader aus Anton Tschechows Kurzgeschichten. Und sie macht das so wunderbar zart und schön, dass man sich für kurze Zeit getröstet fühlt.
Photo: cc svenwerk (flickr.com)
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Die Beantwortung der Frage, warum man Kindern zum Einschlafen vorliest.
„Die Vorleser“ vom 14.5.2010 im ZDF
Die Geschichte klingt jetzt vielleicht etwas wirr für Sie, das macht aber gar nichts! Mit diesen Worten Amelie Frieds ist dann eigentlich auch schon alles gesagt. Über „Die Vorleser“. Über auswendig gelernte ‚Dispute‘ zwischen den Moderatoren. Über das Kratzen an der Oberfläche. Denn zu mehr kommt es in diesem Literaturfernsehformat nicht, ihm fehlt einfach alles, was die Literatur (und auch das Fernsehen zuweilen) auszeichnet: Geist und Witz, Emotion und Information, Schönheit und Hässlichkeit.
Die Bücher, die in der aktuellen Sendung von Freitagnacht vorgestellt worden sind, werden es nicht leicht haben, selbst dem geneigten Zuschauer im Gedächtnis zu bleiben. Wer schrieb noch gleich das „Sachbuch, das einen trotzdem gefangen nimmt“ (Ijoma Mangold) über die Welt des Islams?
Erinnerlich dagegen bleibt, dass Amelie Fried sich mit Vergnügen Telefonbücher anhören wollte, so sie denn von Eva Mattes und Maria Schrader vorgelesen würden. Erneut trifft sie damit das Unterhaltungspotenzial ihrer Sendung wie den Nagel auf den Kopf. Beinahe komisch zu beobachten, wie das Studiopublikum stets verstört in sekundelanger Stille verharrt, bis es versteht, dass nun sein Applaus vorgesehen ist.
Nicht nur deshalb konnte einem die tapfere Maria Schrader beinahe leidtun. Ihr gelang es nämlich tatsächlich, etwas Leben in die Lesebude zu bringen, brachte sympathisch ihre Vorliebe für Tschechow zum Ausdruck und konnte es zumindest gekonnt überspielen, falls auch ihre Wortbeiträge zuvor aufgeschrieben worden sein sollten.
So ist halt doch nicht alles schlecht beim ZDF-Versuch, an die relativen Erfolge des Literarischen Quartets und Elke Heidenreichs anzuknüpfen. Fried ist eine gute Interviewerin, Mangold kauft man seine Urteile ab, und der Vorspann ist nicht ganz uncool -- womit allerdings die größten Probleme gleich mitbenannt sind: der Gast trägt die Sendung, wirkliche Urteile über die literarische Qualität der vorgestellten Bücher sind nicht vorgesehen, und das Format bleibt gefangen in seinem Spagat zwischen Seriosität und Lockerheit.
Vielleicht kann ja die Sendung auch nur so gut sein, wie es die zeitgenössische Literatur zulässt. Nicht zufällig waren es mit Tschechow und Tolstoi zwei Klassiker, die als vorgestellte Autoren in Erinnerung bleiben. Und vielleicht ist ja auch die Gesellschaft schuld daran, dass relevante Literatur zur Mangelware geworden ist. Es schließt sich der Kreis, denn so sind am Ende die Zuschauer dafür verantwortlich, dass ihr Literaturfernsehen so ist wie es ist. Eine ernsthafte Entschuldigung kann dies aber nicht sein, denn die Auswahl der Bücher liegt immer noch bei der Redaktion und den beiden Morderatoren.
Jetzt ist bis zum 17. September jedenfall erstmal Sendepause. Zeit, darüber nachzudenken, ob die 30 Minuten, die für „Die Vorleser“ veranschlagt sind, nicht doch lieber zum Lesen, zum Vorlesen gar, oder doch gleich zum Einschlafen genutzt werden sollten. Für Letzteres indes könnte sich die Sendung in der Tat als hilfreich erweisen.
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„Fried findet das eine, Mangold findet das andere. „Wir finden es beide nicht schlecht“, fasst Fried zusammen.“
--> Das ist ja eine interessante Konsensfindung, die da verfolgt wird! Da fühle ich mich direkt getröstet, dass ich die Sendung verpasst habe! Interessant auch, dass Maria Schrader als einzige den so lange vermissten Zauber transportieren kann. Warum eigentlich? Weil sie als Schauspielerin die Ausbildung dafür hat? Oder weil sie fern von feuilletonistischem Gehabe über Literatur sprechen kann? Oder noch schöner: sie für sich selbst sprechen lässt? Ich finde ja, das klingt nach einem guten neuen Ansatz für „Literaturvermittlung“!
@Sina: Ich glaube, Maria Schrader war einfach die Einzige, die nicht abgelesen, sondern sich „spontan“ geäußert hat. Da hat sie Fried und Mangold schon mal einiges voraus.
Frau Fried ist ja ansonsten ganz lustig, besonders wenn sie versucht, sich wie bei der Sache mit dem Telefonbuch, auf das vermeintliche Niveau der Zuschauer herabzubegeben.
Eine treffende Aussage hat sie in der Sendung auch gemacht: „immer derselbe Smalltalk, immer derselbe Schmarren“ (ich bin mal so frei, das aus dem Zusammenhang zu reißen) :-)
In der gleich am Anfang vorgestellten Hörbuchversion von Jane Austens „Verstand und Gefühl“ heißt es: „…diese wunderbaren Zeilen, an denen ich mich oft regelrecht berauscht habe, mit so viel unerschütterlicher Ruhe vorgetragen, mit solch entsetzlicher Gleichgültigkeit….“ Dies könnte auch gleichsam einem Motto über der Sendung stehen. Vor allem weniger Gleichgültigkeit und viel mehr Gefühl, das täte hier wirklich Not. Kaum versucht man, über zumindest einen der vorgestellten Titel etwas nachzudenken, wird einem schon der nächste um die Ohren gehauen bzw. auf das auf den Fernsehbildschirm gerichtete Auge gedrückt. Tiefergehende Beschäftigung mit den Büchern, die über ein (abgelesenes!) „es geht um das und das“ und „mir hat es gefallen/mir nicht“ hinausgeht -- Fehlanzeige. Eine Sendung, die in 30 Minuten 8 Titel vorstellen möchte und dabei aber den Anspruch hat, nicht bloße Literaturtipps zu liefern, sondern in der Maskerade der Kritik daherkommt ist doch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wenn das wenigstens unterhaltsam wäre…aber dazu hat sich Amelie Fried leider zu sehr auf ihre Telefonbuch-Witze eingeschossen. Wie oben ganz richtig festgestellt wurde: ähnlich, wie die Lektüre Tschechows Maria Schrade tröstet, vermochte es lediglich sie, den Zuschauer mit einem Augenblick echter und tiefer Begeisterung für Literatur zu trösten.
Die ‚Vorleser‘ rufen bei mir die selbe Art vom Fremdscham hervor, die mich beim Anschauen sogenannter ‚Kommentare‘ während der Tagesthemen befällt. Das liegt vor allem an den Moderationstexten, die ebenso miserabel geschrieben sind wie sie von Amelie Fried und Ijoma Mangold vorgetragen werden.
Den Inhalt der Sendung betreffend gibt es den obigen Kommentaren nicht wirklich etwas hinzuzufügen -- da passt einfach gar nichts, von den Moderatoren über die Dekoration und das Publikum bis zum Sendungskonzept.
Dass dem ZDF keine bessere Idee kommt, wie man Literatur im Fernsehen präsentieren könnte, ist erschreckend.
An alle Nörgler: Was gibt es denn für Ideen, Literatur besser oder anders im Fernsehen zu zeigen? Eine einstündige Gesprächsrunde zwischen Autor und Moderator? Am besten noch mit einem Kritiker/einer Kritikerin, der bzw. die die ganze Zeit nur Lob ausschenkt? Ob das noch jemand sehen möchte, bezweifel ich stark. Das ZDF scheint mir nach einem neuen Fernsehformat für Literatur gesucht zu haben. Im Zeitalter von DSDS und Super-Nanny finde ich das schon einmal lobenswert. Lasst uns doch mal brainstormen, was es bedarf, damit man nicht verärgert den Fernseher ausschaltet! Oder kann man Literatur im Fernsehen überhaupt nicht gerecht werden?
Ich glaube, wenn man sich für ein Format entscheidet, in dem Gespräche geführt werden (ob Kritker untereinander, ob Moderatoren mit Autoren, ob Kritiker mit Autoren), dann muss man sich darüber bewusst sein, dass das nur unter zwei Bedingungen funktioniert: 1. Die Sprechenden müssen es drauf haben. Dazu gehört lebendiges Erzählen, geschickte Argumentation, Witz und Charme. 2. Man braucht Raum für das Gespräch. Dazu gehört auch, dass man sich Zeit lässt mit dem Reden und Zuhören, dass man auch Abschweifung zulässt, um wieder auf den Punkt zu kommen.
Beides trifft auf „Die Vorleser“ nicht zu. Das heißt aber nicht, dass Literatur im Fernsehen per se nicht funktioniert. Ich denke, wenn man weder gute Moderatoren noch Zeit zum Gespräch hat, dann sollte man darauf konsequenterweise ganz verzichten. So wie es beispielsweise das „Bücherjournal“ vormacht: Anmoderation eines Buches plus Einspielfilm. Nicht, dass ich dieses Format in den Himmel loben möchte. Aber in seiner Schlichtheit ist es nicht zu unterschätzen.
Ich stimme dir zu Nina, nur meckern ohne eine Alternative vorzuschlagen, ist auch nicht besser. Ich denke Franziska hat aber das Hauptproblem angesprochen: für mich ist es ehrlich gesagt schwer vorstellbar, dass ein Kritiker und eine Autorin, die von Berufswegen mit Sprache und Öffentlichkeit zu tun haben, es nciht schaffen frei zu sprechen.
Außerdem wäre es viel spannender wenn die Positionen nicht von Anfang an klar wären, sondern wenn tatsächlich ein Austausch stattfindet. Mich würde es nicht stören, wenn auch Amelie Fried mal zeigen und sagen darf, dass sie möglicherweise genau weiß, was sie als gute Literatur empfindet und wieso. Zur Legitimation und Diskussion darüber sitzt ihr ja immernoch der Kritiker gegenüber. Anders herum übrigens auch :)
Mehr Spontaneität und Flexibilität in den Positionen würde den Vorlesern und de Zuschauern sicher gut tun.
Vielleicht sollten wir den Vorlesern mal einen ganz altmodischen Zuschauerbrief schreiben… oder von mir aus auch eine E-Mail. Irgendwie scheinen sie sich ja ihrer Wirkung nicht ganz bewusst zu sein, sonst hätte man nach fast einem Sendejahr ja mal was ändern können. Wusstet Ihr, dass die erste Sendung im Jahr 2009 nur 880.000 Zuschauer hatte? Das entspricht einem Marktanteil von 4,1 Prozent. Dieser soll jetzt sogar unter 3 Prozent liegen. Rettet die Vorleser!