"Berlin Heartbeats - Stories from the wild years, 1990–present" © Sandra Kućmierczyk

Weihnachten 2017 // Buchempfehlungen der LITAFFIN-Redaktion // Teil 2

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei! Wenn dann in einer Woche die vierte Kerze brennt, müssen auch schon alle Geschenke fein verpackt unter dem Baum liegen… Habt ihr denn schon für alle eure Lieben die zündende Geschenkidee? Weil man letztlich doch nichts Schöneres schenken kann als ein gutes Buch, hat die Litaffin-Redaktion noch einmal die Köpfe zusammengesteckt und sich einen Moment Zeit genommen zwischen Plätzchenbacken, Geschenkeverpacken und Weihnachtsmarkt, um euch noch ein paar besondere Buchempfehlungen mitzugeben!

Ann-Kathrin empfiehlt: Das Rauschen in unseren Köpfen – Ullstein fünf, 16 Euro Hardcover

Darum geht’s:

Eine Geschichte vom Finden und Scheitern der Liebe. Das klingt erstmal hart und nicht so, als sollte man „Das Rauschen in unseren Köpfen“ seinen Liebsten zu Weihnachten schenken, aber das Gegenteil ist der Fall! Lene und Hendrik sind zwei Figuren, mit denen es sich lohnt, in ein neues Jahr zu starten.
Die Geschichte beginnt mit einem Zufall, einer U-Bahn-Station, an der Lene und Hendrik sich begegnen und von dort an miteinander  in einen nicht zu stoppenden Rausch geraten. In sich abwechselnden Kapiteln schildert die Autorin Lenes und Hendriks Vergangenheit und ihre gemeinsame Gegenwart. Während man schnell merkt, dass Lene für ein wohlbehütetes Aufwachsen ohne große Schicksalsschläge steht, wird auch deutlich, dass Hendriks erste Lebensjahre das genaue Gegenteil waren. Er verlor seinen Vater und war somit früh auf sich alleine gestellt. Er musste lernen, mit dieser Lücke umzugehen, und das hat ihn sehr geprägt. Als er Lene begegnet, schafft er es zunächst, diese Seite von sich zu verbergen, doch nach und nach spürt Lene, wie zerrissen der Mann ist, in den sie sich gerade verliebt hat.

Svenja Gräfen erschafft zwei Charaktere, auf die man in Fragmenten sicherlich schon mal irgendwo in der Realität getroffen ist und für die man gerade daher viel Verständnis aufbringt. Ihnen beim Verlieben und Scheitern zusehen, schmerzt genauso sehr wie es erfüllt, diese glaubwürdige Geschichte zu lesen. Über die Feiertage kann man es definitiv in einem Rutsch verschlingen.

Das perfekte Geschenk für:

Alle Menschen, die Sprachrausch und scharf gezeichnete Figuren lieben und es mögen, wenn sie beim Lesen eines Buches gleich den passenden Film im Kopf haben.

Dazu passt:

Ein Song aus der Playlist der Autorin:

 

Sandra empfiehlt: Berlin Heartbeats – Stories from the wild years, 1990–present – Herausgegeben von Anke Fesel & Chris Keller, erschienen bei Suhrkamp Nova, zweisprachige Ausgabe 29,90€

"Berlin Heartbeats - Stories from the wild years, 1990–present" © Sandra Kućmierczyk
„Berlin Heartbeats – Stories from the wild years, 1990–present“ © Sandra Kućmierczyk

Darum geht’s: 

Nach jahrzehntelanger Teilung ist Berlin im Jahr 1990 wieder vereint und wird endgültig zum Sehnsuchtsort für Kreative jeder Richtung, die sich die plötzlich frei gewordenen Räume und Strukturen zu eigen machen und neue Wege beschreiten. Ateliers, Bars, Galerien, Clubs, Theater –  dafür scheint es unendlich viel experimentellen Raum in dieser rauen und auf ihre spezielle Art herzlichen Stadt zu geben.

Persönliche Essays, Geschichten, Anekdoten und erfrischend lebendige Fotografien rekapitulieren die unabgeschlossene Geschichte dieser jungen und scheinbar nie fertigen Hauptstadt. Die Beiträge stammen u.a. von Mr. Berghain Sven Marquardt persönlich, Rammsteins Flake und der Schriftstellerin Judith Hermann.

Das perfekte Buch für: 

Liebhaber und Fanatiker der Mutterstadt, Ur-Berliner, Zugezogene, Touris, Prenzlberg-Schwaben und alle anderen Bücherfreunde, die Freude an einem schön gestalten Essay-Bildband haben.

Dazu passt: 

Berliner Ur-Gestein und linke Ikone der Hausbesetzer-Szene Rio Reiser mit seinen grandios-zeitlosen Ton Steine Scherben.

 

Henry empfiehlt: Maren Kames, halb taube halb pfau, Secession Verlag, 35 Euro

Maren Kames "halb taube halb pfau" © Henry Riechers
Maren Kames „halb taube halb pfau“ © Henry Riechers

Darum geht’s:

„Und vielleicht ist es so: An diesen Schollen ist das Land zusammengenäht. Hier wird es reißen.“

Maren Kames Texte setzen am geographischen Südpol an, 90° 0‘ 0“ S. Eine endlos weiße, leere Landschaft. Das Auge, der Sinn kann sich hier an nichts festhalten, nur an dem Weiß selbst, das doch nicht greifbar ist. Und die Landschaft, sie wirkt zurück auf das vage, suchende und manchmal etwas konfuse Ich, indem sie sich partout nicht fassen lässt, nicht endgültig. Denn wer hinhört, nicht taub bleibt, bemerkt: Das Weiß franst hier aus, es bricht „Ich habe gehört: Es taut.“

Taube, halb taub, Tau. In halb taube halb pfau sind Worte und Text selbst Schollen. Beobachtungen, Erinnerungen, Gefühle, Sinn und Verstand. Sie bröckeln, fransen aus und beginnen zu driften, brechen aus ihren alten Zusammenhängen heraus und gehen als Samples immer wieder neue Sinnverbindungen ein. Das ist wahnsinnig aufregend und stellt die eigene Lesehaltung immer wieder neu auf die Probe. Dazu kommt der sehr präsente Sound des Buchs, der durchaus wörtlich verstanden werden muss: QR-Codes führen zu Klangaufnahmen (und Videos), in denen von mehreren Stimmen eingesprochene Textschollen wieder aufgegriffen und mitunter auch vorweggenommen werden. Jenseits der buchstabenbedruckten Seiten gehen sie nochmals ganz andere, klangliche Verbindungen ein. Unterlegt sind sie mit Kontrabassloops, die sich wie orientierungslos im Kreis drehen, oder einem elektronisch erzeugten Rauschen, wofür sich Kames Milena Kipfmüller (Regie) und Klaus Janek (Komposition/Kontrabass) ins Boot geholt hat. Die Verbindungen von Text, Musik und Klang entfalten an diesen Stellen eine noch eindringlichere Stimmung als das bloße Lesen. Mit größtenteils denselben Textschollen schaffen sie neuen Sinn und Nichtsinn, die klanglich, körperlich erfahren werden können, und doch ebenfalls nur vorübergehend sind, als nachhallendes Gefühl. Denn danach geht es schon wieder zurück ins gedruckte Buch. In ein Buch, das originelle und mitunter auch witzige Bilder und Formulierungen am Rande des Verständlichen findet („Am Ende ist es hologramm, das Land.“), während es spielerisch sein Innen und Außen immer wieder infrage stellt, sie mal zusammendenkt und dann wieder getrennt. Bei so einem Konzept nicht eine Sekunde lang verbissen oder verkopft zu wirken, das muss einem erst einmal derart gut gelingen wie in halb taube halb pfau.

Das passende Geschenk für:

Freunde experimenteller, freier und enorm stimmungsaufgeladener Lyrik; die außerdem imstande sind, sich einen QR-Code Reader zu installieren; und gerne etwas Kluges beitragen wollen zur nächsten Diskussionsrunde in der WG-Küche, wie es denn im 21. Jahrhundert weitergehen kann und soll mit unserem liebsten Problemkind: dem Buch.
Und abgesehen davon sollte wirklich jeder einmal diesen glänzenden, reflektierenden Leineneinband in der Hand und gegen das Sonnenlicht gehalten haben.

Dazu passt:

Nebenher vielleicht nichts weiteres, da in dem Buch ohnehin schon so enorm viel passiert. Aber wer die darin ausgebreitete Stimmung noch ein wenig weiteratmen will und gerade keinen Schneespaziergang in der platten Landschaft Brandenburgs machen kann, könnte sich mal wieder in aller Ruhe das Album ( ) von Sigur Rós anhören.

 

Charlotte empfiehlt: Die 13 Weihnachtsmänner Islands, Text und Illustrationen: Brian Pilkington; Übersetzung: Alexander Schwarz und Sabine Burger, Forlagid, 25,90 Euro

Die 13 Weihnachtsmänner Islands © Charlotte Steinbock
Die 13 Weihnachtsmänner Islands © Charlotte Steinbock

Darum gehts: 

In Island gibt es nicht nur einen Weihnachtsmann, sondern gleich 13. Sie heißen Schluchtentölpel, Knirps,Türschläger oder Wurststibitzer, sind alle Brüder und inzwischen schon im fortgeschrittenen Alter. Streng genommen sind sie Weihnachtstrolle. Sie leben mit ihren Eltern in einer Höhle in den Bergen und dürfen die Menschen fast nie besuchen kommen. Nur in der Weihnachtszeit lässt sich das Herz von der strengen Mutter Grýla erwärmen und sie schickt ab dem 12. Dezember jeden Tag einen ihrer Söhne in der Nacht in die Städte und Dörfer. Dort werden sie von den Kindern schon sehnsüchtig erwarten, die ihre Schuhe auf den Fenstersims stellen, falls die Trolle ihnen ein Geschenk mitbringen. Wer allerdings nicht artig war, bekommt eine Kartoffel. Außerdem muss man sich noch vor der Katze in Acht nehmen, die gerne ungezogene Kinder frisst. Auch die Trolle sind nicht ganz ohne: Sie bringen zwar Geschenke, doch manchmal werden sie frech und grumpig und dann fangen sie an, Streiche zu spielen. Deshalb ist es immer besser, ihnen eine Leckerei bereitzustellen, jeder hat so seine Vorlieben (wie zum Beispiel einen Löffel mit Pläzchenteig). Das Buch stellt die Trollfamilie und jeden der Weihnachtstrolle mitsamt ihren Lieblingsspeisen vor. Die Illustrationen von Brian Pilkington fangen eine typisch isländische Ambivalenz ein: die Trolle als ausgelassene Tunichtgute, die in ihrer Skurrilität manchmal auch ein wenig gruselig, aber trotz allem immer liebenswert wirken. Obwohl Grammatik und Rechtschreibung an einigen Stellen ein bisschen fehlerhaft sind ein wahres Vergnügen!

Das passende Geschenk für: 

Junge und Junggebliebene, denen bei schrägen Geschichten, Figuren und Traditionen das Herz aufgeht und alle Islandfans!

Dazu passt: 

Noch mehr Island. Wer mehr und ausführlichere Geschichten rund um die gesamte isländische Kultur, den Alltag und die Geschichte lesen will, dem sei die Gebrauchsanweisung für Island und alles von und über Jon Gnarr ans Herz gelegt.

Charlotte Steinbock
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