Es ist 14 Uhr am Sonntagnachmittag im Heimathafen Neukölln. Man kennt sich und steht in kleinen Grüppchen zusammen, im vollen Foyer und draußen mit der obligatorischen Zigarette. Man hat schon viel gemeinsam gehört und gesehen an diesem Wochenende und spricht mit Expertise über die vorgetragenen Texte. Journalist*innen streifen mit Notizblöcken und Mikrofonen durch die plaudernde Menge und möchten wissen, „wie man es denn fand?“
Gerade erst hat sich die Jury des 25. open mikes zur Entscheidungsfindung in den Keller zurückgezogen. Anderthalb Stunden haben sie nun Zeit, die Sieger*innen des alljährlichen Wettbewerbs für junge Literatur zu küren. Keine leichte Entscheidung, da ist man sich hier draußen einig.
Rot-goldenes Zwielicht erwartet das Publikum, als es schließlich um 15.30 Uhr ein letztes Mal in den großen Saal strömt. Literaturinteressierte, Journalist*innen, wichtige Leute aus dem Literaturbetrieb und solche, die es mal werden wollen, verteilen sich auf die Stuhlreihen. Auch die Kandidat*innen mit ihren Fanclubs aus Familienmitgliedern und Freund*innen mischen sich unter die Menge. Die Stimmung ist aufgeladen, die anderthalb Stunden Wartezeit haben das Publikum geschlaucht.
Thomas Wohlfahrt, Leiter des Hauses für Poesie, betritt als erster die Bühne. Und weil eine Preisverleihung nicht einfach nur eine Preisverleihung sein kann, rekapituliert er zum Verdruss des gespannten Publikums den gesamten Wettbewerb en détail. „Es dauert alles noch ein bisschen“ – das hat die geduldige Menge inzwischen auch bemerkt.
Dann sind auch die letzten Dankesworte gesprochen, und unter Applaus betritt Juliane Schindler die Bühne. Sie spricht als eine der mit der Textauswahl betrauten Lektor*innen zu den Prosa-Autor*innen. Ihre Laudatio lässt auch die harschesten Kritiker des Formats open mike kurz innehalten, ist sie doch ein emotionaler Aufruf an alle Schreibenden, der genau den richtigen Ton trifft. Und beinahe jeder im Publikum kann zustimmen, als Juliane Schindler sagt: „Und manchmal brauchen wir – ja, sogar wir (und ich spreche jetzt für die gesamte Menschheit) auch den Trost, den Humor, die Ablenkung, das Lachen, die kurze Flucht. Das Gefühl, im Autor, der Autorin einen Freund zu haben, auch wenn wir ihn oder sie gar nicht kennen.“
„An die Lyriker*innen und auch an die Welt“ richtet Christian Döring im Anschluss seine Laudatio, auch er ist einer der auswählenden Lektor*innen. „Wie steht es um die Poesie?“ fragt er gleich zu Beginn. Gar nicht so schlecht, stellt Döring fest und schließt mit dem Ausruf: „Lesen Sie Lyrik!“
Und dann geht’s endlich los mit der Preisverleihung. Zunächst ist die taz-Publikumsjury gefragt. Fünf Juror*innen, welche „die Lesenden draußen im Lande“ repräsentieren, wurden hierfür ausgewählt: Steven Fischer, Ariane Hussy, Luda Liebe, Julia Trautmann und Ulrich Zernack. Sie haben sich für den Text So kommt’s von Baba Lussi entschieden, der sie „durch seine Sprachverliebtheit“ und mit „originellem Witz“ überzeugte. Die junge Autorin betritt unter Applaus die Bühne. Ihre Gummiknie lassen sie vor der Jury knicksen, was ihre Freude bezaubernd authentisch wirken lässt. Mal wieder wird es ein „abgedrehter Text“ sein, der in der taz erscheint, aber definitiv einer der „sehr schönen“. So charakterisiert Dirk Knipphals, taz-Literaturredakteur, die langjährige Zusammenarbeit mit dem open mike.
Schließlich ist es Zeit für die Autorenjury, ihr Votum zu präsentieren. Ingo Schulze, Olga Grjasnowa und Nico Bleutge haben im Vorfeld entschieden, das 7.500 Euro umfassende Preisgeld gleichwertig auf drei Finalist*innen aufzuteilen.
Ingo Schulze tritt als Erster ans Mikrofon. Der erste Preis geht an Das Liebchen von Ralph Tharayil und damit, so Schulze, an einen Text, „der seinen Lektoren noch Arbeit machen wird“. Die Entscheidung kommt beim Publikum gut an. Jubelschreie sind zu hören, als Tharayil ans Mikrofon tritt. „Dankeschön erstmal.“ Dann liest er eine Passage aus seinem Text vor. Ja, es ist kein einfacher Text, der hier gewonnen hat.
Nico Bleutge verkündet anschließend in poetischer Sprache die Gewinnerin des Lyrikpreises. „Wohin geht das Gedicht? Es geht von München nach Leipzig und direkt in die Hände von Ronya Othmann.“ Die Gewinner-Choreographie liegt Ronya Othmann noch nicht so ganz, als sie ihren Preis entgegennimmt. Doch ihre Gedichte vortragen, das kann sie. Mit fester Stimme deklamiert sie eine Passage ihrer überzeugenden Lyrik.
Olga Grjasnowa verleiht schließlich den letzten Preis des Nachmittags – und das auf eine überraschend unspektakuläre Weise. Der Name des Gewinnertextes, Dorfköter, entschlüpft ihr im ersten Satz, und Jubel über den Gewinner Mariusz Hoffmann brandet auf. Es gelingt Grjasnowa jedoch, die Menge noch einmal zu beruhigen und zu einer Begründung anzusetzen. So souverän wie der Text wirkt auch sein Autor, als er schließlich den Preis entgegennimmt und eine Passage seines Textes vorträgt.
Und dann ist es plötzlich vorbei. Noch ein kurzes Schlusswort von Thomas Wohlfahrt, ein Abschluss-Applaus, dann ein Glas Sekt und der 25. open mike endet – zumindest für das Publikum. Für die jungen Autor*innen ist das hier erst der Anfang.
Von Sofie Mörchen
Die Preisträger*innen des 25. open mike 2017:
Prosa: Mariusz Hoffmann, Dorfköter und Ralph Tharayil, Das Liebchen
Lyrik: Ronya Othmann, Gedichte
taz-Publikumsjury: Baba Lussi, So kommt’s
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