Der in rotes Licht getauchte Saal des Heimathafens Neukölln ist zu Beginn der Lesungen des 25. open mikes gut gefüllt. Zwölf der insgesamt 20 Finalist*innen tragen am ersten Tag ihre Texte einem breiteren Publikum vor. Den Anfang machen an diesem Samstag Magdalena Kotzurek, Laura Schiele, Christian Schulteisz und Timotheus Riedel. Unsere Highlights.
Laura Schieles Lyrik oszilliert von Zwischenmenschlichem zu Selbstbetrachtungen. Gerade dort neigt Lyrik ja leider schnell dazu, in Kitsch abzudriften. Dies schafft die Autorin häufig durch sprachliche Brüche zu umgehen – etwa wenn Trennung und ein Sich-Auseinander-Entwickeln zum zäh-triefenden Prozess werden, an dessen Ende sich Zucker und Wasser getrennt voneinander gegenüberstehen:
In Sirupzeit
tropften wir voneinander ab
Nicht jedes der zahlreichen Gedichte überzeugt, doch an vielen kleinen Stellen entwickelt die Lyrik der 19-jährigen Autorin eine Poetik, die Genuss bereitet.
Timotheus Riedel bietet ein dezentes, aber gut eingesetztes Spiel von Mimik, Gestik und publikumswirksamem Blickkontakt. Im Prosastück Malkowski. Eine Szene beschließt der Protagonist Stanley Malkowski, wahnsinnig zu werden. Um diesen Kern bündeln sich verschiedene Erzählstränge, die stilistisch voneinander differenziert sind, z. B. durch unterschiedliche Erzählinstanzen. Subtil betrachtet Malkowskis Geschichte auch die Normalität des Verrückten. Die Nähe zwischen Norm und Wahn, die Konstruiertheit des Verrückten wird literarisch entfaltet, ohne dies im schulmeisterlichen Duktus ausformulieren zu müssen. Ein interessantes Stück Kurzprosa, das Neugierde auf mehr bereitet.
Nach einer halbstündigen Pause beginnt, in einem immer noch gut gefüllten Saal, der zweite Leseblock mit Eva Maria Leuenberger, Markus Ostermair, Baba Lussi und Ann-Kathrin Ast. Der Eindruck, den die Texte hinterlassen, ist eher durchwachsen. So konnten sich Ann-Kathrin Ast mit Beat, in diesem trockenen süßlich riechenden Nebel und Markus Ostermairs Karl Maurers Streifzug nicht ins Gedächtnis einbrennen.
stell dir vor
die haut fällt von dir ab
wie die rinde einer anderen zeit
Mit diesen Worten beginnt Eva Maria Leuenbergers Langgedicht schlucht. Ihr Text erzählt von großer Einsamkeit, der Dekonstruktion des eigenen Körpers und dem Versuch, die eigene Existenz im Schmerz zu erspüren. Bedrückende Bilder entspinnen sich vor dem inneren Auge des Zuhörers. Die Intensität der Worte und die Art ihres Vortrags ziehen sofort in ihren Bann. Gebrochen wird die beengende Stimmung von Leuenbergers Versen immer wieder durch das zarte Knistern eines Bildes, das an ein altes Videoband erinnert. So nachhaltig wie das kraftvolle und doch zarte Gedicht schlucht berührt keiner der anderen Texte des zweiten Leseblocks.
Der zweite Text, der beeindruckt und auch das Publikum sichtlich begeistert, ist So kommt’s von Baba Lussi. Während der Lesung erfüllt immer wieder ein leichtes Kichern den Saal und zum Schluss ertönen einige Jubelrufe. In ein Genre will sich die Geschichte um eine junge Frau, in deren Wohnung eines Abends ein Fremder wartet, nicht recht einordnen lassen. Der Text wirkt sowohl vom Setting als auch sprachlich, als käme er aus einer anderen Zeit und weckt sofort Assoziationen mit dem Struwwelpeter oder Wilhelm Busch. Die spielerische Vortragsweise der Autorin und die leichtfüßige Sprache des Textes machen So kommt’s zu einem wahren Hörvergnügen.
Mit merklicher Verzögerung füllt sich der Saal für den letzten Leseblock des ersten Tages, den Armin Wühle, Lukas Diestel, André Patten und Sarah Wipauer mit ihren Texten beschließen. Die Zahl der Zuhörerinnen und Zuhörer ist deutlich zurückgegangen – und die allgemeine Müdigkeit und Antriebslosigkeit scheint auch einige der Autor*innen erfasst zu haben. Dabei sind die Thematiken der letzten vier Texte des Tages durchaus spannend, allen voran diese beiden.
Leuchtquallen von Armin Wühle beschäftigt sich mit der nach wie vor aktuellen Flüchtlingsthematik. Schauplatz ist eine Urlaubsinsel. Dort haben Leuchtquallen Marlen und Kiesling bereits im letzten Jahr den Badespaß verdorben – nun sind es menschliche Leichen. Zu hunderten werden die toten Körper an den Strand gespült. Der örtliche Reiseleiter entschuldigt sich zwar für die entstandenen „Unannehmlichkeiten“, doch die Urlauber interessiert nur eins: die Entschädigung! Dieser Text lässt seine Zuhörer nicht nur fassungslos, sondern auch nachdenklich zurück. Denn obwohl der Autor es nie erwähnt, schieben sich unweigerlich Bilder von ertrunkenen Geflüchteten vor das innere Auge. Der monotone Lesestil von Wühle passt dabei einerseits zu der nüchternen Erzählweise, andererseits fesselt der Text dadurch nicht so sehr, wie die Thematik es könnte.
Richtig wach werden die verbliebenen Zuhörer*innen im Saal erst wieder bei Lukas Diestels Text Peter M. stellt sich vor. Der rasante Lesestil des Autors ist nichts für schwache Nerven, trotzdem schafft es der Text vor allem aufgrund seines Wortwitzes, den Zuhörern einige Lacher zu entlocken. Am Protagonisten selbst ist dagegen so gar nichts witzig: Peter M. ist ein durchschnittlicher Typ mit einem völlig unaufgeregten Leben – bis er sich eines Tages etwas vorstellt, und ein unvorhersehbares Chaos entsteht: wo bislang ein Peter war, gibt es plötzlich viele, dazu noch so einige Antonios, gepaart mit politischem Inhalt. Lukas Diestel gelingt ein Text, der an Absurdität und Fantasie kaum zu übertreffen ist. Ganz im Gegensatz dazu endet die Geschichte sehr nüchtern: Peter M. ist wieder allein und nimmt sich vor, sich nie wieder etwas vorzustellen.
Von Angie Martiens, Carla Paul und Elisa Utterodt
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Mir gefällt der Blog, auffallend ist, es wird kritisch berichtet, aber die Autoren lassen sich nicht zum „niedermachen“ der Texte hinreißen, wie man es durchaus bei Berichterstattungen zum Open Mike wahrnimmt.
Und auffallend ist auch das die Nennung der Fotografen, was im Netz zu verschwinden droht. Es ist schließlich auch interessant, wer das Foto gemacht hat.