Im Rahmen des ilb 2017 fand der Graphic Novel Day statt, an dem sich alles um die zunehmend populäre und vielfältige Kunstform des Comics und der Graphic Novel drehte. Hier folgt ein Bericht über drei ganz unterschiedliche Veranstaltungen an diesem Tag.
Nick Cave, ein Ausnahmeleben in Schwarz-Weiß
Den Auftakt machte Reinhard Kleist, der zu den bekanntesten deutschen Comickünstler*innen zählt. Er stellte seine Graphic Novel Biographie Nick Cave – Mercy on Me vor, in der er das ruhelose Leben und das künstlerische Werk des australischen Sängers in expressiven, dunklen Bildern darstellt. Eine Biographie über einen lebenden Ausnahmekünstler? Keine leichte Aufgabe, die er sich da vorgenommen hat!
Jedes Kapitel ist nach einem Musiktitel aus einer Lebensphase von Cave benannt. Während der Veranstaltung spielte Kleist die Lieder ab und projizierte das dazugehörige Kapitel groß auf die Leinwand. So entstand ein mitreißender Strudel aus Musik, Bildern und Geschichte. Besonders interessant war das Kapitel über Caves Zeit im Westberlin der 80er Jahre, in denen er die Berliner Szene kennenlernt. Damals geriet er infolge eines Drogenrauschs immer mehr in einen sich vermischenden Strudel aus Realität und Fiktion.
Im freundschaftlich-lockeren Gespräch mit dem ebenso musikbegeisterten Moderator berichtete Reinhard Kleist von seinem ersten Treffen mit Nick Cave während eines Gewitters bei einem Konzert auf dem Boden des Backstage-Bereichs. Außerdem erzählte er von der weiteren Zusammenarbeit mit Nick Cave bei der Entstehung des Buches, der auf seine eigene Geschichte wohl selbst nur mit einem Außenblick schaut. Zuletzt gab er Einblicke in die Werkstatt-Entwürfe des Buches.
Haptik ist Kleist wichtig, daher zeichnet er immer mit der Hand und wählt für jedes Buch das passende Material aus. Für die Geschichte von Nick Cave entschied er sich für raues Papier und kaputte Pinsel, um einen expressiven, rauen Stil zu erschaffen.
Das Highlight der Veranstaltung war das Live-Zeichnen zum Ende der Veranstaltung, als Kleist zur Musik von „Red Right Hand“ innerhalb weniger Minuten ein druckreifes Bild zeichnete. Insgesamt war es eine Veranstaltung, die nicht nur die Nick Cave-Fans begeisterte, aus denen das Publikum hauptsächlich zu bestehen schien.
Hinter der Idylle
Ohne Worte präsentierte der belgische Künstler Romain Renard sein Multimedia-Projekt Melvile. Melvile ist ein mysteriöser Ort voller Erinnerungen und Geschichten irgendwo in der kanadischen Provinz. Dort spielen seine neuesten zwei Graphic Novels, zu denen er eine App und einen Soundtrack entwickelt hat. Mit zunächst gleichbleibenden, tragenden Rhythmen und Melodien von live gespielter Gitarre und Bass begann die Projektion von flackernden schwarz-weißen Bewegtbildern, die Landschaften zeigten. Die ständige Mischung aus gezeichneten Bildern und verfremdeten Videoaufnahmen einer Autofahrt ließen das Panorama des Dorfes lebendig werden.
Auf den ersten Blick wirkt Melvile idyllisch, aber nach und nach tauchen die Geister des Dorfes aus verschiedenen Zeiten auf und suchen das Dorf heim. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ertranken in einem Jahr 17 Mädchen im gleichen Sommer im Fluss des Dorfes. An anderer Stelle hört ein Sohn überall im Dorf die abschätzigen Geräusche des Vaters auch nach dessen Tod. Vom Glanz der ehemaligen Stadt zeugen nur noch die sepiafarbenen Postkarten, die an der Tankstelle verkauft werden. Ein außergewöhnliches Territorium, an dem Worte zu Mythen werden, wie die Erzählerstimme gleich zu Beginn verrät.
Der Künstler Renard selbst reiste einen Monat lang durch Kanada und nahm Videos auf, um das Dorf seiner Vorstellung in der Realität zu finden. Dennoch könnte das geheimnisvolle Dorf überall sein.
Proust light
Deutlich lustiger und weniger düster ist das neue Comicwerk von Nicolas Mahler. Er wagte sich an eine Neuinterpretation auf Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – auf nicht einmal 200 Seiten. Der Österreicher hat schon mehrere Klassiker der Weltliteratur in Comicform gezeichnet. Humor und Ironie im Originalwerk sind dabei die wichtigsten Kriterien für ihn, weil er selbst nicht ernst bleiben kann. Die Umsetzung des siebenteiligen Romans nannte er ein „irrsinniges Unterfangen, das eigentlich nur schiefgehen konnte“. Weil er keine Nacherzählung geplant hatte, musste er nicht chronologisch vorgehen. Dabei konnte er frei aus dem Textmaterial wählen, das er als seine „Spielwiese“ bezeichnet.
Wegen seines sehr vereinfachenden zeichnerischen Stils musste er sich auf Szenen mit höchstens drei Personen beschränken, die anhand besonderer Merkmale klar voneinander zu unterscheiden sind. Mahler recherchierte historische Bilder und Proust-Verfilmungen, aus denen er schrittweise seine Figuren entwickelte. Am meisten überraschte das Publikum, dass er den Text nicht veränderte, sondern aus der Originalübersetzung übernahm. Das Ergebnis ist ein unterhaltsamer Proust in der light Variante!
Alphabet des Ankommens
Außerdem entstand im Rahmen des Graphic Novel Day das spannende Projekt „Alphabet des Ankommens“, das im Haus der Berliner Festspiele ausgestellt wurde, aber auch online zu finden ist. Ausgestellt wurden zwölf Comic-Reportagen von Autor*innen und Journalist*innen aus zehn verschiedenen Ländern. Sie berichten ganz persönlich und mit unterschiedlichen Stilen vom Neuanfang in einem fremden Land.
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