Niemals hätte Lisa gedacht, nach ihrem Studium der Kulturarbeit in einem Wirtschaftsunternehmen zu landen, das auch noch Bier verkauft. Seit 2014 unterstützt sie das Sozialunternehmen Quartiermeister mit ihren Ideen und ihrem Engagement. Quartiermeister ist das Bier für den Kiez, das seit fünf Jahren verkauft wird, um mit dem Erlös soziale und kulturelle Projekte in der Stadt zu unterstützen. Neben Lisas Aufgabenbereichen der Fördermittelvergabe, der Ehrenamtskoordination sowie der Pressearbeit, setzte sie sich stark dafür ein, dass aus dem Quartiermeister Bier die Quartiermeister*in wurde. Mit der weiblichen Pilsedition und unter dem schönen Motto #gleichesbierfüralle ist seit letztem Jahr auf der Hälfte aller Etiketten statt eines Mannes auch eine Frau zu sehen – We like! – und stellen hiermit die Mitinitiatorin Lisa Wiedemuth vor!
Was wolltest du als Kind werden?
Ich war einhundertprozentig davon überzeugt, Schauspielerin zu werden. Von der Grundschule bis zum Abitur gab’s da eigentlich keine Alternative. Im Grunde wurde ich auch von allen darin bestärkt, hab die ganze Zeit Theater gespielt und maximal über Absurditäten wie Pferdeflüsterin oder Talkshowmoderatorin nachgedacht.
Was genau hast du studiert und warum hast du dich dafür entschieden?
Nach dem Abitur haben mir meine Eltern erlaubt auszuziehen, ein Jahr zu jobben und mich nebenbei an Schauspielschulen zu bewerben. Dafür bin ich ihnen bis heute sehr dankbar. Es ist nicht selbstverständlich, in seinem Dazwischen (finanziell) unterstützt zu werden. Aus den Bewerbungen wurde dann aber erstmal nichts, weil der Arzt mir nicht das notwendige Sportattest ausstellen wollte. Ich hätte meine Knieprobleme sicher verstecken und das Attest noch irgendwo anders herbekommen können. Aber anstatt dafür zu kämpfen, oder rumzuheulen, hab ich mir nochmal Gedanken über meine Motivation gemacht. Mein Leben lang auf Engagements angewiesen sein? Im Theaterkosmos verschwinden und alles andere auf die lange Bank schieben? Arbeit als Selbstaufgabe? Nö! Ich wollte plötzlich etwas mit mehr Options- und Gestaltungsspielraum studieren, mit einem sinnvollen, soziokulturellen Ansatz. Und irgendwie bin ich dann über den Studiengang Kulturarbeit an der FH Potsdam gestolpert. Klang schön schwammig, praxisorientiert und lag in der Nähe von Berlin. Aber ehrlich gesagt hatte ich wenig Ahnung, was mich da genau erwarten würde.
Wusstest du schon während deines Studiums, in welchen Beruf du möchtest?
Zu Beginn meines Studiums konnte ich das Theater nicht richtig loslassen und dachte, ich werde irgendwas im Bereich Produktion machen. Das Schlechte an Kulturarbeit ist: Niemand weiß, was das genau bedeutet. Du selbst zu Beginn auch nicht, aber trotzdem musst du dich ständig erklären. Das Gute ist: Du kannst eigentlich alle möglichen Richtungen einschlagen und im Hauptstudium selbst entscheiden, was dir wichtig ist. Manche beschäftigen sich mit der Konzeption von Ausstellungen & Museen, andere mit Medien- oder Musikmanagement, wiederum andere legen ihren Schwerpunkt auf soziologische Themen oder interkulturelle Studien. Das Spektrum ist da wirklich sehr breit. Einzelne fühlten sich da ein wenig verloren. Ich dagegen war froh, meinen Blick für Alternativen zu öffnen und schnuppern zu dürfen, ohne einen wirklichen Plan zu haben.
Wo hast du während des Studiums Berufserfahrungen gesammelt?
Neben den pragmatischen Jobs zum Überleben, bietet der Studiengang Kulturarbeit zum Glück ein sogenanntes Praxissemester an und das war wirklich der große Wendepunkt in meiner Laufbahn. Ich finde, neben den Fachhochschulen sollten definitiv auch Universitäten solche Programme unterstützen. Plötzlich stand ich in der Praxis, hab mindestens genauso viel gelernt wie im Seminarraum und durfte danach auch als Minijobberin im Unternehmen bleiben. Kurz vor meinen Abschluss hab ich zusätzlich noch eine Assistenz bei der Künstlerstadt Kalbe absolviert, einer bürgerschaftlichen Initiative in Sachsen-Anhalt, die gegen den demografischen Wandel in ihrer Region kämpft. Ich hab da völlig auf mich allein gestellt sechs Wochen in einem 2000 Einwohner*innendorf gelebt. Das hätte ich mir zuvor niemals zugetraut. Grundsätzlich wurde mir durch die Praxiserfahrung bewusst, dass ich mir viel mehr zutrauen kann, als angenommen und dass ich definitiv in einem Bereich arbeiten möchte, in dem ich gesellschaftlich etwas verändern kann.
Wo arbeitest du jetzt und was genau sind deine Aufgaben?
Direkt nach dem Studium hat mich tatsächlich das Unternehmen übernommen, in dem ich mein Praxissemester absolviert hab. Ich arbeite bei Quartiermeister – Das Bier für den Kiez. Das Sozialunternehmen, bestehend aus einem Verein und einer GmbH, verkauft ein regionales Bier und unterstützt mit den Erlösen soziale und kulturelle Projekte genau dort, wo das Bier getrunken wird. Alle können online mitentscheiden, wohin das Geld fließt. Wir konnten so schon über 100.000 Euro an soziale Initiativen in Berlin, Leipzig, Dresden und München ausschütten. Ich steh an der Schnittstelle zwischen Verein und Unternehmen. Während meine Kolleg*innen hauptsächlich im Vertrieb tätig sind, kümmere ich mich um die Kommunikation nach außen, um die Fördermittelvergabe & Projekte, die Ehrenamtskoordination, sowie PR & Netzwerk.
Wie sieht dein Arbeitsplatz aus?
Montag bis Donnerstag sitze ich in unserem Hauptquartier auf der Oranienstraße in Kreuzberg. Seit Juni haben wir unser eigenes Büro. Wir haben alles in Handarbeit selbst gebaut und bestückt, ganz fertig ist es trotzdem noch nicht. Aber Kühlschrank und Zapfanlage sind zumindest vor Ort. Manchmal ist mein Arbeitsplatz auch eine Konferenz, eine Kneipe oder eine Messe. Ich freu mich immer, wenn ich Termine außerhalb habe. Freitags arbeite ich noch halbtags von zuhause aus, denn Vollzeit heißt bei uns eine 36-Stunden-Woche. Das finde ich mehr als fair.
Was gefällt dir besonders gut an deiner Arbeit?
Abgesehen von der freien Einteilung der Arbeitsstunden und einem ganz wunderbaren Team bin ich von drei Dingen ganz besonders begeistert: Unserer Unabhängigkeit, unserer Transparenz und unserer Motivation. Unser Unternehmen arbeitet vollkommen frei von Investor*innen, das heißt wir können unsere Entscheidungen tatsächlich autonom treffen und befinden uns nicht in diesem schrecklich stressigen Start-Up-Wachstums-Druck. Diese Unabhängigkeit erlaubt uns bspw. die Reduzierung von Arbeitsstunden oder das Ablehnen von diversen Partner*innen, die nicht unseren Prinzipien entsprechen. Transparenz heißt nicht nur, dass wir jedes Quartal all unsere Einnahmen & Ausgaben für alle zugänglich veröffentlichen, sondern auch, dass unsere Gehälter für jeden im Unternehmen transparent sind. Mindestens einmal pro Jahr sprechen wir dann offen darüber, ob dieses Gehalt noch unseren Lebensumständen gerecht wird. Viele von uns würden in anderen Unternehmen mit gleichem Abschluss das mindestens Drei- bis Vierfache verdienen (dazu zähle ich nicht). Aber wir arbeiten eben nicht, um zu arbeiten, sondern weil wir alle einen großen Sinn in unserer Arbeit sehen. Niemals hätte ich gedacht, in einem Wirtschaftsunternehmen zu landen, das auch noch Bier verkauft. Aber es genau in diesem Bereich anders zu machen, im Sinne des Gemeinwohls zu wirtschaften, andere zu Ähnlichem zu inspirieren und viele Pioniere und Projekte kennenzulernen, die sich für einen sozialen Wandel einsetzen, motiviert mich enorm. Außerdem darf ich viel texten und eigene Themenschwerpunkte setzen. Es wird also selten langweilig.
Nach der Bioedition gibt es bei euch seit diesem Jahr auch die „Quartiermeister*in“. Dazu betreibst du seit kurzem den Blog auf der Quartiermeister-Webseite, auf dem verschiedene Autor*innen und Initiativen kurze Essays zum Thema Sexismus in der Werbung veröffentlichen. Was hat dich zu der Kampagne bewegt?
Als ich 2014 mein Praktikum bei Quartiermeister begann, war ich ein bisschen auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Das Unternehmen kann doch nicht wirklich absolut korrekt sein. Prompt fragte ich frech, warum auf der Flasche nur ein Dude zu sehen ist, der Quartiermeister. Da meinten die beiden Chefs, Peter und David, dass der Verein und sie selbst auch schon überlegt hatten, 50/50 eine Frau auf die Flasche zu drucken. Als meine Vollzeitstelle begann, wollte ich diesen Vorschlag endlich in die Tat umsetzen. Ich fand es schade, nur das Logo auf der Flasche zu ändern. Eigentlich waren wir uns alle einig, dass wir dieses politische Zeichen auch inhaltlich begleiten möchten. Schnell wurde klar: Wir leben im Jahre 2017, aus der Quartiermeisterin wurde just die Quartiermeister*in, gemäß dem Motto #gleichesbierfüralle. Der Biermarkt ist klar männerdominiert. Bierwerbung gehört zu den klassisch sexistischen Werbungen, in denen Rollenklischees und die Objektivierung von Frauen zur Tagesordnung gehören. Wir wollten zu Stereotypen und Geschlechterklischees in der Werbung aufklären und eine Diskussion anregen: Wann beginnt Diskriminierung in Wort und Bild? Wie können wir uns dagegen engagieren?
Wenn du noch mal studieren könntest, würdest du dich für den gleichen Studiengang entscheiden? Wenn nein, was würdest du stattdessen wählen?
Kulturarbeit war wirklich ein sehr praxisbezogener Studiengang. Ich bin froh, mich mit Steuerrecht, Vereinswesen und Fundraising beschäftigt zu haben. Ich würde mich auf jeden Fall noch mal entschließen, dieses Studium zu wählen, glaube aber auch: Sollte ich jemals noch einen Master machen, müsste der theoretische und sozialwissenschaftliche Teil auf jeden Fall Schwerpunkt werden. Ich liebäugle da so ein bisschen mit Transformationsdesign oder Soziokulturellen Studien. Auch wieder schön schwammig!
Welches Buch liest du gerade? Kannst du es weiterempfehlen? Oder hast du einen anderen Kulturtipp?
Neben meinem Bett liegt: Was ich sonst noch verpasst habe von Lucia Berlin. Selten haben mich Kurzgeschichten so tief berührt und mich gleichzeitig so sehr zum Schmunzeln gebracht. Dieses Buch würde ich gefühlt jedem empfehlen. Ansonsten ist ja Harald Welzer mein persönlicher Held, der sich viel mit der (Zivil)gesellschaft der Zukunft beschäftigt. Das ist dann mehr so spaßige Sachlektüre.
Und natürlich: Wo können wir uns das Quartiermeister*innen Bier besonders gut schmecken lassen? Was sind deine persönlichen Lieblingsorte?
In Berlin gibt’s unser Bier mittlerweile an über 400 Orten, die man alle auf unserer Homepage findet. Ich selbst wohne in Neukölln. Meine neue Lieblingskneipe ist Herr Lindemann mit Quartiermeister*in vom Fass und einer schönen Terrasse für den Sommer, direkt am Richardplatz. Ansonsten gibt’s uns auch in größeren Locations wie dem Yaam oder dem SO36 als Sonderedition.
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