Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Ein altes, abgedroschenes Sprichwort, das so offensichtlich wie nichtssagend ist. Doch was passiert, wenn ein paar Verse eine Reise tun? Lydia Daher hat es ausgetestet und ihre Gedichte aus Deutschland losgeschickt in die USA zum Illustrator Warren Craghead III.
Kleine Satelliten (MaroVerlag) heißt der neue Gedichtband von Lydia Daher, der aus einer Kollaboration mit dem Comiczeichner Warren Craghead III entstanden ist. Hierfür hat Daher einige ihrer Verse von Paul-Henri Campbell als auch Lukas Wahden ins Englische übersetzen lassen und diese dann zu Craghead III nach Virginia in die USA geschickt. Der Illustrator hat die übersetzten Verse dann auf sich wirken lassen und ihnen Bleistiftzeichnungen beigefügt. Das Entstandene fällt dann unter die Kategorie Graphic Poetry.
Zunächst habe ich die Gedichte von Lydia Daher und deren Übersetzungen im Ganzen auf mich wirken lassen. Es sind fünf an der Zahl: TENDENZEN, das titelgebende KLEINE SATELLITEN, ÜBERALL und das deutsch-englische KOMM NÄHER/COME CLOSER. Alle Gedichte sind von einem gewissen melancholischen Schleier überzogen, der aber gleichzeitig sehr hoffnungsvoll anmutet. Die Verse wirkten auf mich sehr atmosphärisch. Oft richtete sich das lyrische Ich an ein Gegenüber, an ein Du, mit dem es in Beziehung steht. Wie passend für eine solche Kollaboration. Neugierig sah ich mir nun die grafische Umsetzung der Texte an.
Craghead III hat nie das Offensichtliche gezeichnet, sondern die in den Versen enthaltenen Gedanken und Emotionen weitergedacht. Verse und Bleistiftzeichnungen verschmelzen bei jeder einzelnen Darstellung zu einem stimmigen Ganzen. Bei vielen Kompositionen werden die Buchstaben ein Teil des Bildes, bei anderen stehen sie ganz klar im Vordergrund. Jedes Arrangement der Kleine(n) Satelliten ist verschieden und so konnte ich mich auch schwer wieder losreißen von dem Gedichtband, als ich ihn einmal aufgeschlagen hatte. Hinzu kommt, dass die Illustrationen an sich sehr dynamisch wirken. Durch breitere oder dichtere Bleistiftstriche setzt Craghead III klare Akzente, die den Zeichnungen aber auch den Versen Leben einhauchen.
Meine Lieblingskomposition ist jene, die den Vers „Ich möchte dich daran erinnern dass wir niemals verschiedener Meinung sind“ veranschaulicht. Craghead III hat hier ganz wunderbar herausgearbeitet, wie etwas scheinbar Positives, immer einer Meinung sein, plötzlich zu einer Drohung werden kann. Allerdings kann diese Illustration auch anders gelesen werden: Indem ein Mensch daran festhält, immer einer Meinung mit einer anderen Person zu sein (Faust), verliert er diese Stück für Stück (Hand öffnet sich und die Buchstaben fließen aus ihr heraus.) Das Aufploppen solcher Gedankenspielräume macht Kleine Satelliten zu einem ganz besonderen Lyrikband.
Auch haptisch ist dieses Buch ein aufregendes Erlebnis. Einige Tage traute ich mich kaum, es auszupacken. Kleine Satelliten kam eingeschlagen in halbdurchsichtigem Papier bei mir an. Als ich es dann doch endlich von seiner Hülle befreit hatte, gab es einiges zu entdecken. Der Buchblock ist umgeben von einem Karton, den man wie ein Geschenk aufklappen muss, um an das Herzstück des Buches heranzukommen. Ein loses Faltblatt fiel mir sofort entgegen. Auf diesem und auf der Innenseite des Kartons sind ein Mailverkehr zwischen Lydia Daher und Warren Craghead III abgedruckt sowie Dahers Gedichte und deren Übersetzungen. Diesen Einleger fand ich sehr hilfreich, um zunächst einen Gesamteindruck der Verse zu bekommen. So war es noch viel eindrucksvoller, was der Illustrator am Ende dann daraus geschaffen hat. Außerdem gefällt mir auch sehr die Qualität des Papiers und die farbigen Seiten, die den Anfang eines neuen Gedichtes signalisieren.
Kleine Satelliten zeigt, dass Lyrik gar nicht so verstaubt ist, wie vielerorts immer behauptet wird. Der spielerische Umgang mit den Versen in Kombination mit den eindrucksvollen Illustrationen macht Lust auf weitere Graphic Poetry-Bände.
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