Litaffin_Sommerlektuere_2016

Sommer 2016: Das liest die Litaffin Redaktion #2

Hallo Sommer! Okay, zugegeben: In den letzten Tagen macht der Sommer ein paar kleine Regenpausen, aber die  kann man ja ebenfalls bestens zum Lesen nutzen. Erste Inspiration konntet ihr euch schon in unserem ersten Teil „Das liest die Litaffin Redaktion“ holen. Falls da noch nicht das perfekte Buch für Strand, Balkon oder Kuscheldecke dabei war, folgt hier unser Teil 2:

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Eva

…hat gerade gelesen: Anneliese Mackintosh: So bin ich nicht (Gretas Stories). Hardcover. 256 Seiten. Aufbau Verlag. 19,95 Euro.

Darum geht’s:  Greta hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter, ein Alkoholproblem und eine psychisch kranke Schwester. Außerdem ist ihr Vater vor kurzem gestorben. Zugegeben, das ist nicht unbedingt die beliebteste Thematik für eine leichte Sommerlektüre. Aber die Autorin erzählt so warmherzig, ironisch und witzig aus Gretas Leben, dass man sich während des Lesens trotzdem wohl und in gewisser Weise getröstet fühlt. Die Geschichten handeln von Beobachtungen und Erlebnissen, die Greta besonders geprägt haben.  In einigen Erzählungen schreibt sie Briefe an ihr zukünftiges Ich, in anderen erfindet sie skurrile Szenarien. Trotz Zeitsprünge und Perspektivwechsel lassen sich schnell Zusammenhänge erkennen, sodass am Ende ein komplexes Bild einer jungen Frau entsteht, die sich mit ihrer Vergangenheit und der Trauer um ihren Vater auseinandersetzt. Die Texte sind zudem autobiografisch geprägt, im Vorwort verrät die Autorin: „1. 68% sind wirklich passiert. 2. 32% sind es nicht. 3. Ich werde es nie verraten.“

Veranstaltungstipp:  Annelise McIntosh ist die Mitbegründerin von Words Per Minute, der ersten literarischen Clubnacht in Schottland.  Wen es diesen Sommer zufällig dorthin verschlägt, sollte unbedingt einen Blick in den Veranstaltungskalender werfen. Neben Literatur und Spoken Word-Beiträgen erwarten Euch hier auch Musik, Performances und Kurzfilme.

…nimmt mit in den Urlaub: Sheila Heti: Wie sollten wir sein? Hardcover, 336 Seiten. Rowohlt Verlag. 19,95 Euro.

Wohin? Einen Roadtrip an Portugals Atlantikküste!

Warum? Die erste Seite macht neugierig:  „Wie sollten wir sein? Jahrelang fragte ich das jeden, den ich traf. Ich achtete immer darauf, was Leute in irgendwelchen Situationen taten, damit ich es auch tun konnte. Ich lauschte ihren Antworten, damit ich sie zu meinen machen konnte, wenn sie mir gefielen. Ich beobachtete, wie sie sich kleideten, wie sie ihre Liebespartner behandelten – alle hatten irgendetwas Beneidenswertes an sich. Es fällt einem ja leicht, Menschen dafür zu bewundern, dass sie so in sich ruhen. Es ist im Gegenteil richtig schwer, es nicht zu tun, wenn jeder so gut darin ist. Aber wenn man sie sich dann alle zusammen vorstellt – wie soll man sich da entscheiden?“

Auch dieser Text experimentiert mit autobiografischen Elementen: Sheila sollte eigentlich an ihrer Auftragsarbeit, einem feministischen Theaterstück, schreiben. Aber sie befindet sich in einer Krise,  da sie sich unablässig fragt, wie sie eigentlich sein sollte. Der Roman wurde mehrfach mit Lena Dunhams Serie „Girls“ und Büchern von Miranda July verglichen.  Zudem hat die Autorin Gespräche mit ihren Freund*innen aufgenommen und sie in den Text eingebaut.

Veranstaltungstipp:  Sheila Heiti veranstaltet in Toronto die sogenannten „Trampoline-Hall“-Lesungen, bei denen Leute auf der Bühne über Themen referieren, von denen sie keine Ahnung haben (z.B. „The History of 3D, „Suicide Notes“, The Perfect Baguette“, …)

Juliane

… hat gerade gelesen: Panikherz von Benjamin von Stuckrad-Barre. KiWi. 576 Seiten. Gebunden. 22,99 Euro.

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Darum geht’s: Benjamin von Stuckrad-Barre hat seine Autobiographie geschrieben. Hat die Welt darauf gewartet? Nicht wirklich. Ist ihm aber höchstwahrscheinlich auch egal. In gewohntem Stuckrad-Barre-Sprech berichtet der Autor und Entertainer von seiner Jugend in Göttingen, seinem rasanten Aufstieg in der Medienbranche, seiner Bulimie, seiner Kokainabhängigkeit, etlichen Entzügen und schließlich seiner Liebe zu Udo Lindenberg. Der und dessen Songs haben ihn mehrmals aus dem Abgrund wieder ans Licht gezogen. Deshalb ist der Roman auch übersät mit Udo-Song-Zitaten, aber auch sonstigem Namedropping. Stuckrad-Barre trifft Westernhagen, Westbam, Bret Easton Ellis, Rammstein, Die Prinzen und sogar Jeanette Biedermann. Ein wilder Ritt, der sprachlich immer noch an Stuckrad-Barres Anfangszeiten erinnert. 

Gemerkt: Die vielleicht deprimierendste Eigenschaft einer Drogensucht ist, dass sie zu einem wirklich spießigen Leben führt. Wenn wir Spießertum definieren als eine totale, zwanghafte Regelmäßigkeit, die nichts so fürchtet wie Varianten und Abwechslung. Alles immer gleich. Dann lebt also ein Junkie ein vollendetes Spießerleben.

Erinnert an: Ganz klar an Stuckrad-Barres Debütroman Soloalbum! Das Buch meiner Jugend! Der Film meiner Jugend! Vorsicht: Nostalgie- und Verklärungsgefahr! Kein Song könnte beide Romane besser verbinden als Oasis’ Don’t look back in anger. 

…nimmt mit in ihren Urlaub: Shakespeares Hühner von Ralf Rothmann. Suhrkamp. 211 Seiten. Gebunden. 19,95 Euro (als suhrkamp taschenbuch 8,99 Euro).

Wohin? Erst Strandwochenende an der polnischen Ostsee, dann Roadtrip an der portugiesischen Küste.

Warum? Seitdem ich Feuer brennt nicht gelesen habe, bin ich ein großer Ralf Rothmann-Fan. Hinzu kommt, dass Shakespeares Hühner ein Kurzgeschichtenband ist. Vor allem für den Urlaub finde ich Erzählungen äußerst praktisch. Zum einen muss mein Gehirn, das sowieso im Urlaubsmodus ist, sich nicht so viel merken. Zum anderen mag ich es, auf Reisen das Ritual des Gute-Nacht-Geschichten-Lesens aus Kindheitstagen wieder aufleben zu lassen. Vorsicht: Erneute Nostalgiegefahr!

Marie

hat gerade gelesen: Antonia Baum: Tony Soprano stirbt nicht. Hoffmann und Campe. 144 Seiten. Hardcover. 18 Euro.

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Darum geht’s: Das Horrorszenario schlechthin! Das Telefon klingelt und jemand erklärt, es habe einen Unfall gegeben – ein Familienmitglied liegt im Koma. Diese Situation, die jede und jeder von uns fürchtet und die uns allen jederzeit widerfahren könnte, musste die Autorin Antonia Baum kürzlich durchmachen, als ihr Onkel am Telefon verkündete: „Dein Vater ist heute Morgen verunglückt.“ Die unlustige Ironie des Schicksals: Antonia Baum hatte kurz zuvor ihren Roman Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren fertiggestellt, in dem es um drei Geschwister geht, die sich Sorgen um das Leben ihres leichtsinnigen Vaters machen. Wer hätte gedacht, dass aus der eigenen Literatur so schnell Realität werden kann? In Tony Sopranos stirbt nicht beschreibt die Autorin, wie sie mit ihren beiden Geschwistern ins Krankenhaus fährt, wo sie sich, verhöhnt von ihrer eigenen Geschichte, in der Sorge um ihren leichtsinnigen Vater verliert. Etwas verloren erscheint (daher?) auch der Erzählfluss, welcher immer wieder durch in Klammern eingeschobene Erklärungen unterbrochen wird, in denen die Autorin ihre Arbeit am Text offenlegt.

Gemerkt: Mein Vater lag noch immer auf der Intensivstation, das Buch erschien, und ich wurde in Interviews gefragt, inwieweit es autobiographisch sei. Es war ein schlechter Witz, eine super-realistische Verarschungsparty mit mir als taumelnder Gastgeberin. 

Erinnert an: Na, was wohl? – Die Sopranos! Wie bereits der Titel verrät, zieht die Autorin in ihrer Situation eine Parallele zu jener Sopranos Episode (Staffel 6, Folge 2), in der Tony im Koma liegt, nachdem er von seinem Onkel angeschossen wurde. Wie Antonia Baum und ihre Geschwister, war auch Tonys Familie sofort ins Krankenhaus geeilt und wie auch Tony, sollte nun auch ihr Vater gefälligst wieder aufwachen.

…nimmt mit in ihren Urlaub: Emma Straub: Modern Lovers. Riverhead Books. 368 Seiten. Paperback. 12 Euro.

Wohin? London, Baby!

Warum? „Summer in the city has never felt so good.“ – so die Washington Post über den neusten Roman der New York Times Bestsellerin. Das passt also ziemlich gut. Außerdem muss man sich ja nicht gleich als deutscher Touri outen (eine deutsche Übersetzung gibt es noch nicht).

Liv

…hat gerade gelesen: Marjana Gaponenko: Das letzte Rennen. Hardcover. 266 Seiten. C.H.Beck. 19,95 Euro.

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Darum geht’s:  Das Erwachsen werden, das Verhältnis zu den Eltern, das Finden der eigenen Identität. Wie so viele Bücher. Wichtig bei Gaponenko ist, wie gewitzt sie mit der Sprache umgeht und in fremde Charaktere zu schlüpfen weiß, genau wie sie in anderen Kulturen und Sprachen aufgeht. Die Geschichte handelt von einem Jungen, der dank seines polnischen Vaters in besten Verhältnissen, zumindest finanziell, in Wien groß wird. Der Roman ist auf Deutsch geschrieben, von einer Frau, die selbst aus der Ukraine kommt und nach Polen und Irland nun Deutschland und Österreich als Wohnorte gefunden hat. Dass auch die Politik im Roman eine Rolle spielt, keine Frage, bei der geographischen Biografie der Autorin.

Gemerkt: Eine seiner Eigenschaften war, dass es ihm immer gut gelang, sich als einen Mann von Welt zu präsentieren, als kultivierten und wissenden Patriarchen, der schon so weit war, dass er sich erlauben konnte, nicht mehr lesen zu müssen und sich für nicht weltliches als für Pferde und Kutschen zu interessieren So waren unsere Gäste und all seine Bekannten , selbst meine Mutter davon überzeugt gewesen, die Gesellschaft eines Homo universale zu teilen, mit dem man theoretisch über alles hätte reden können. Wenn er nur nicht so lebenssatt wäre, der wortkarge Schöngeist. 

…nimmt mit in den Urlaub: Nis-Momme Stockmann: Der Fuchs. Hardcover. 718 Seiten. Rowohlt. 24,95 Euro.

Wohin? Eine Rundreise durch Marokko.

Warum? Dieses Buch habe ich mir schon so lange vorgenommen und nun habe ich im Urlaub endlich Zeit für den Fuchs. Und ich muss beschämt zugeben, ich habe ihn mir in erster Linie aus purer Heimatverbundenheit so lange schon vorgenommen. Stockmann ist ebenso wie ich in Nordfriesland aufgewachsen, nur auf einer Insel statt auf dem Festland. Die Strukturen sind da aber sicher die gleichen. Ich erhoffe mir viele Ja-genau-so-ist-das-da-Momente und bin sehr gespannt, welche Geschichte in der nordfriesischen Kulisse und welche Sprache einem so viel Zuspruch aus dem Feuilleton verschaffen kann, wie ihn Stockmann erfahren hat.

Hier findet ihr den ersten Teil der Redaktions-Sommerlektüre:

Sommer 2016: Das liest die Litaffin Redaktion #1

 

Liv Thamsen

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