Am Wochenende habe ich auf dem E-Book Festival im Colonia Nova gearbeitet. Das hat sich ganz kurzfristig ergeben. Ich war ein bisschen hinter der Bar, ein bisschen als Betreuer in den angebotenen Workshops, ein bisschen hier, ein bisschen da. Ein Gelegenheitsjob. Was ich genau tun sollte, erfuhr ich erst am Tag vor meiner Schicht. Bis dahin hatte ich nicht einmal eine Vorstellung, was das E-Book Festival eigentlich ist. Zum Googlen hatte ich keine Lust. E-Books fand ich blöd. Ein E-Book Festival musste also totaler Quatsch sein.
Was ich nicht an E-Books mag? Ich denke, das beginnt beim Namen. Den finde ich bodenlos uncool, weil ich mir immer vorstellen muss, wie cool sich der Namensgeber wohl vorgekommen ist. Ein E davor und schwupps die digitale Revolution. Nicht. Der Hype, der um das PDF mit verstellbarer Schriftgröße gemacht wird, ist mir zu groß.
Im Jahr 1988 wurde das erste kommerzielle elektronische Buch, das sich vollständig am Computerbildschirm lesen ließ, veröffentlicht. Es war der Roman Mona Lisa Overdrive von William Gibson. – Wikipedia
Zum Anderen muss ich bei E-Book immer gleich an E-Reader denken, die unnötigste technische Erfindung seit … ja, da gibt es leider keine Vergleichsgröße. Zugegebenermaßen sehr unreflektiert bahnte ich mir also meinen Weg durch die flirrend heißen Straßen Neuköllns und wollte, dass meine Prognose wahr und das EBF 2016 schlecht wird.
Dieses Wort stand 2004 erstmals im Rechtschreibduden. Dieses Wort gehört zum Wortschatz des Zertifikats Deutsch. – Duden, Eintrag „E-Book, das“
Schlecht wurde es aber nicht. Als Ansprechpartner für Raum und Technik konnte ich einige Workshoplesungen verfolgen. Darunter war auch ein Partnervortrag von Marcus Johanus und Axel Hollmann. Die beiden Krimiautoren kamen etwas schrullig daher. Sie stellten sich zu aller erst als Familienväter vor und sahen auch so aus. Sie berichteten aber über ein interessantes Phänomen. Kern des Vortrags war nicht ihre Schreibarbeit, sondern ihr Videoblog. Die beiden stellen regelmäßig auf humoristisch(-schrullige) Weise das Drumherum des Schreibens vor: Ideenfindung, Gedanken zur Cover-Gestaltung, die Lieblingscomics ihrer Romanfiguren – das alles eingebettet ins Familienvaterleben. Sie zeigen: Der Beruf als Autor verblasst nicht zwischen vergilbenden Seiten, er verändert sich. Der Autor wird zur Kultfigur – und zwar nicht zur mysteriösen in einer Ecke eines Wiener Caféhauses, sondern etwa zum YouTube-Star. Die Fans der beiden haben ein Gesicht zum Buch und erfahren Hintergrundinformationen zu ihren Lieblingsfiguren. Der Lektüreprozess löst sich vom eindimensionalen Blättern unter der Bettdecke und wird in einen mehrdimensionalen Fiktions-Realitäts-Kosmos eingebettet.
Als nächstes stellten sich zwei „bestselling“ Self-Publisher vor: Michael Meisheit (schreibt unter dem Pseudonym Vanessa Mansini) und Nikola Hotel (ist ihr echter Name!). Sie zeigten wieder auf ganz andere Weise: Bücher und Autoren sind kein Spartenprodukt für Ärztekinder geworden, sondern haben sich nur verändert. Beide haben solide Fangemeinschaften, zu denen sie einen viel engeren Kontakt pflegen als manche Autoren, deren Name auf einem Karteikärtchen in der Schublade vom Verlagsbüro verrottet.
Weitere Themen waren natürlich Blogs, aber auch Designmöglichkeiten des Digitalen, zeitgenössischer Dadaismus bis hin zu lyrisch Verklärtem wie einer Metadatenlesung von Marion Schwehr. Ob genial oder fragwürdig – alles wurde aufgezeichnet und von Voice Republic als Podcasts livegestellt, eine Möglichkeit des technischen Multiplizierens von Zuhörern, die, so simpel sie doch ist, noch viel zu wenig genutzt wird. Liegt nicht also hier, im E vorm Book, auch die Zukunft der Hochliteratur? Ist die digitale Welt nicht eher Rettung als Bedrohung für die Literaten, die sich nur durch Vollzeit-Nebenjobs, die Buchpreisbindung, Förderungen und Verwertungsgesellschaften über Wasser halten?
Ich muss zumindest zugeben, dass ich jetzt an mehr als nur an PDFs denke, wenn ich „E-Book“ höre. Das E-Book allein ist bestimmt nicht die Zukunft des Buchmarkts, aber vielleicht das E-Zusammenspiel und die E-Kreativität eines E-Literaturbetriebs. Denn zum Glück bin ich mit meiner Meinung nicht allein: Die Vertreter kleiner Verlage, Autoren, Designer und Blogger, die sich auf dem EBF 2016 tummelten, sind wie eine kleine E-Cloud, die dicht zusammenhält und die ganz viel noch unsichtbar für die Zukunft bereithält. Hoffentlich kann ich mich auch nächstes Jahr wieder als verdeckter Litaffin-Reporter hinter die Bar schleichen. Wenn nicht, gehe ich vielleicht trotzdem hin, mit Anmeldung!
Die Podcasts zur EBF-Lesenacht findet ihr hier.
- Und was macht man damit? #24 Sinah Swyter - 21. Juni 2018
- Im Gespräch mit BR*OTHER ISSUES - 22. März 2018
- Vor Frust „außer sich“ vor Freude - 10. September 2017