Felix Roadkill ist Berliner Performance-Künstler und feierte in den letzten Jahren bereits mehrere internationale Erfolge. Schon während seines Studiums in Hildesheim fokussierte er sich innerhalb seiner Arbeiten stark auf schmerzbasierte Performance-Kunst. Themen wie Folterschmerz, öffentliche Hinrichtungen und gewaltsames Morden sind nur wenige, die in seinen Arbeiten wie Murder Series Platz finden. Eine seiner letzten Performances Fuchs 6: A closer look on Poland ist Teil der Performance-Reihe FUCHS, die sich in ihren ersten fünf Teilen mit dem Populismus von Rechts in Form von PEGIDA beschäftigt hat und jetzt ihre Weiterführung auf europäischer Ebene in der Auseinandersetzung mit der fremdenfeindlichen Regierung Polens findet.
Mit Litaffin hat er über körperliche und psychische Grenzerfahrungen gesprochen, wie wichtig diese für seine Arbeiten sind und welchen Themen er sich perspektivisch widmen möchte.
Seit längerem lebst du in Berlin und arbeitest als Performance-Künstler. Hat dich das Studium „Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis“ in Hildesheim für diese Kunstform sensibilisiert oder hast du schon vorher Interesse dafür entwickelt?
Vor meinem Studium hätte ich nicht sagen können, was Performance-Kunst ist. Ich wurde also in jedem Fall an der Uni für diese Kunstform sensibilisiert. Aber ich habe schon als Teenager Performance-Kunst gesehen, darüber gelesen und selbst performt – nur wusste ich es damals überhaupt nicht einzuordnen. Das Studium in Hildesheim hat bei mir dann den richtigen Nerv getroffen und ich habe gelernt, über diese Kunstform nachzudenken und darüber zu reden. Insbesondere in den Kursen der beiden Performance-KünstlerInnen Helge Meyer und Ilka Theurich wurde mir sehr geholfen, mein Interesse zu einer Leidenschaft auszubauen.
Deine letzten Arbeiten beinhalten schmerzbasierte Erfahrungen. Es hat den Anschein, dass deine Performance-Kunst auch etwas mit dem Hinschauen zu tun hat — du forderst Menschen dazu auf, nicht wegzuschauen.
Ich glaube, dass ich sie eher dazu auffordere, sich mit dem Entscheidungsprozess, der dem Hinschauen oder Wegschauen vorangeht, bewusst auseinanderzusetzen. Meine Arbeiten konfrontieren oft mit unangenehmen, teils körperlich schmerzhaften Situationen. Dieses spezielle ästhetische Angebot dürfen die BetrachterInnen selbstverständlich ausschlagen. An dem Punkt aber, wo sich jemand entscheidet wegzuschauen, um etwas auszublenden, das physische und psychische Konsequenzen hat, wird diese Person gezwungen, Verantwortung zu übernehmen. In diesem Fall die Verantwortung für sich selbst. Wer jedoch hinschaut, bleibt empfänglich für Kommunikation und offen für einen intellektuellen und emotionalen Austausch. Wer hinschaut, übt sich in Empathie und übernimmt somit Verantwortung für die Gemeinschaft.
Wie waren die Publikumsreaktionen bisher? Gab es Lob oder Kritik?
Insgesamt waren viele Publikumsreaktionen rührend, denn viele Menschen haben nach meinen Performances ein regelrechtes Mitteilungsbedürfnis. Sie erzählen von ihren Ängsten, ihrem Schmerz und ihrem Aktivismus. Einige ertragen die Bilder und die Themen schlecht, andere sind wiederum davon fasziniert, dass in der Darstellung von Schmerz und Erschöpfung eine befreiende und heilende Schönheit liegen kann. In beiden Fällen beschäftigten sich die BetrachterInnen mit meinen Performances und wollten dieses Erlebnis veräußern. Das schafft Gemeinschaft. Lob kommt somit von ganz alleine, Kritik fordere ich meist konkret von vertrauten Personen ein.
Du stößt in deinen Performances an körperliche wie psychische Grenzen. Braucht Kunst derartige Grenzerfahrungen?
Die Kunst — und ihre Geschichte — ist ohne derartige Grenzerfahrungen undenkbar. Nur durch das Überschreiten von Grenzen werden neue Gedanken sichtbar und kann neues Empfinden möglich werden. Das betrifft sowohl die Kunstschaffenden, als auch ihr Publikum. Ich verstehe Kunst als Impulsgeber zur offenen Gesellschaft. In dieser Funktion ist sie endlos bemüht, die Grenzen unserer Lebensrealität ausfindig zu machen, zu provozieren und letztlich zu durchbrechen. Umbrüche dieser Art gehen jeden Menschen etwas an und so findet in allen Kunstformen eine Auseinandersetzung mit dem Verbotenen, dem Verdrängten und dem Undenkbaren statt. Das sind dann die sogenannten Grenzen des guten Geschmacks, die anzugreifen nicht nur Sinn, sondern auch noch Spaß macht, egal ob Duchamp mit seiner Fountain oder Schlingensief mit Ausländer raus. Speziell in der Performance-Kunst, dessen Medium der menschliche Leib ist, sind (schmerzhafte) körperliche und psychische Grenzerfahrungen dann eine logische Konsequenz.
Inwiefern sind diese für deine Arbeiten wichtig?
Sie sind der Grund warum ich Kunst mache. Was jetzt aber nicht heißen soll, dass ich mich in jeder meiner Arbeiten körperlichen und mentalen Qualen aussetze. Ich bin kein Masochist, sondern ich überschreite Grenzen dann, wenn sie mir helfen, ein bestimmtes Bild aufzubauen oder wenn sie eine inhaltliche Aussage emotional vertiefen. Aber die ständige Beschäftigung mit meinen und unseren Grenzen wird zu einem Akt der Befreiung von Zwängen und Regeln. Das hat etwas wahnsinnig kathartisches und durch das körperliche Erleben von Grenzüberschreitungen wird ein außergewöhnliches Mitempfinden für alle Beteiligten erst möglich: nicht nur auf intellektueller Ebene, wie im Theater beim gespielten Widerstand und beim gespielten Schmerz, sondern ganz konkret auf emotionaler Ebene im wahrhaftigen Durchleben von Schmerzen und dem tatsächlichen Verletzen von Konventionen.
Für das Warsaw International Performance Art Weekend hast du dich mit dem aktuellen politischen Geschehen Polens beschäftigt, insbesondere mit der Regierungspartei PiS und ihrer Umgestaltung der Demokratie seit der Parlamentswahl 2015. Diese Arbeit ist der 6. Teil der Performance-Reihe Fuchs. Was verbirgt sich hinter der Reihe?
Ursprünglich nicht als Reihe angelegt, verbergen sich hinter Fuchs bis dato sieben Performances und Interventionen, in denen ich mich auf der einen Seite mit den jüngsten Erscheinungsformen des Populismus in Europa auseinandersetze. Zum anderen ist es eine spezielle Chronik meines Verhältnisses zu meiner sächsischen Heimat seit Beginn der Dresdner PEGIDA “Spaziergänge” im Herbst 2014 — da steckt viel Enttäuschung und Wut dahinter. Mit Fuchs wurde meine Kunst zunehmend politisch, womit ich zu Beginn so meine Schwierigkeiten hatte, denn jede weitere Fuchs-Performance ist ein Statement für Europa, für eine offene Gesellschaft und für eine politisch engagierte Bürgerschaft. Und hinter so einem Statement kann man sich persönlich schlecht verstecken. Ich sah mich gezwungen, meine privaten Positionen zu schärfen und für das, wofür meine Arbeit steht, mit voller Überzeugung einzustehen. Gleichzeitig ist die gesamte Reihe für mich auch ein großes Experimentierfeld zu der Frage, wie politisch wirksam Performance-Kunst überhaupt sein kann. Ich hänge da nach wie vor in den Seilen, denn zum einen glaube ich an die Kunst als Katalysator, aber wenn ihr so viel verändernde Kraft innewohnt, wie gerne von ihr behauptet wird, warum ist dann die Politik noch nicht komplett in die Kunst gewechselt? Fuchs ist ein Prozess und ein Plädoyer und Aktivismus und ein bisschen auch Therapie.
Wieso der Name „Fuchs“?
Sommer 2007 in meinem Heimatdorf in der Lausitz. Ich war 18 und in der Abschlussklasse. Es herrschte gewissermaßen Aufbruchstimmung auf alles, was nach dem Abi kommen sollte und auf alles, was anders sein wird als Ostsachsen. Am Feldrand ist mir damals ein paar mal ein Fuchs begegnet und hat mich jedes Mal für einige Meter begleitet. Ich fand ihn wunderschön, aber ich habe mich auch sehr vor ihm gefürchtet.
Ich lese gerade zufällig Marina Abramovićs Autobiographie. Darin schreibt sie, dass Schmerz so etwas sei wie eine heilige Tür zu einem anderen Bewusstseinszustand. Geht es dir da ähnlich? Könnte das die Art von Therapie sein, von der du eben sprachst?
Ihre Autobiographie habe ich noch nicht gelesen, stimme Abramović aber in ihrer Aussage erst einmal zu, wenn ich es auch weniger pathetisch ausdrücken würde. Diesen „anderen Bewusstseinszustand“, der uns an unsere leibliche Existenz und unsere Empfindsamkeit erinnert, kennt jeder Mensch. Ganz banal vom Muskelkater nach dem Sport oder vom unvorsichtigen Schnitt in den Finger beim Gemüseschneiden. Nicht ohne Grund sprechen wir davon, dass uns etwas schmerzlich bewusst wird. Mit Hilfe von individuellen Schmerzerlebnissen erfahren wir uns körperlich und geistig selbst und können uns in der Welt, die uns umgibt, verorten. Schmerzen kennt jeder und Leiden ist ein universelles Phänomen. Gerade weil Leid so etwas profanes ist, eignet es sich hervorragend als Kommunikationsmittel. Ich würde also nicht soweit gehen und von einer „heiligen Tür“ sprechen. Das scheint mir zu exklusiv. Für mich ist auch das pure Empfinden von Schmerz noch keine Therapie, sondern erst die Kommunikation darüber mit anderen Menschen. Der gemeinsame Austausch, wie er nur über das emphatische Mitempfinden von Schmerzen möglich werden kann, hat etwas befreiendes. Das kennt man auch vom gemeinsamen Weinen oder aus Selbsthilfegruppen. Das Sprechen über unsere leidvollen Erfahrungen vereint uns und lindert den Schmerz.
Wo findest du Inspiration?
Beim stundenlangen Surfen im Internet, beim stundenlangen Anstarren weißer Wände, beim stundenlangen Baumarktshopping und beim stundenlangen Telefonieren mit Mama.
Wie sieht deine Vorbereitung aus? Kann man von einem Probenprozess sprechen?
Nein, von einem Probenprozess kann man nicht sprechen. Meinen Performances liegt kein minutiös getakteter Ablauf zugrunde, der perfektioniert werden kann oder sollte. Ich arbeite sehr konzeptionell und die Ausführung des Werkes ist nicht primär wichtig, aber selbstverständlich plane ich auch im Vorfeld. Ich recherchiere thematisch meist viel, ich organisiere meine Materialien und habe bestimmte Aktionen im Kopf. Während der Performance folge ich aber Impulsen — von mir, vom Publikum, vom Ort, vom Wetter, usw. …
Wie du bereits erwähnt hast, erarbeitest du oftmals Performances, die mit deinen persönlichen Empfindungen und deinem Leben in Verbindung stehen. Eine große Rolle spielen dabei auch meist deine eigenen Ängste. Wie bereitest du dich emotional auf deine Auftritte vor?
Ich möchte behaupten, dass ich keine besondere emotionale Vorbereitung brauche. Was meine Ängste und meine Emotionen im Allgemeinen angeht, bin ich ziemlich selbstbewusst. Schon als Teenager habe ich mich immer und immer wieder mit dem Traurigen, dem Brutalen und Ungerechten beschäftigt und bin für solche Themen sehr sensibilisiert. Aber ich kann seit jeher auch erstaunlich gut damit umgehen und neige nicht zur Traurigkeit oder zu emotionaler Überforderung. Vor und während meiner Auftritte bin ich, ganz einfach gesagt, sehr achtsam im Hinblick auf meine Empfindungen. Mein Trick ist, alle Gedanken und Emotionen unangestrengt zuzulassen, um mit voller Kraft darauf reagieren zu können.
Wie betrittst du den Raum deiner Performance? Bist du dann währenddessen das Ich, das du kennst, oder jemand anderes?
Ich bleibe ich, so wie ich bin. Ich schlüpfe in keine Rolle und ich muss keiner Figur im So-Tun-Als-Ob dienlich sein. Der spezifische Aspekt der Performance ist, Tatsachen nicht zu beschreiben sondern Tatsachen zu schaffen. Alles was ich tue, denke und fühle ist demzufolge echt und hat seine realen Folgen. Die Grenzen dieser Definition sind dabei aber nur angedeutet, denn letztlich unterscheidet sich mein Performer-Ich dennoch von meinem Privat-Ich. Letzteres ist das Konstrukt meiner Identität, das während meiner Performances durchlässig wird. Als Performer bin ich mutiger, erbarmungsloser und offener. In meinen Performances teile ich meine Gedanken und Regungen unmittelbarer als in meinem Privatleben. Ebenso bin ich für Impulse von Außen viel empfänglicher. Das ist in gewisser Hinsicht riskant, aber es schafft Realität.
Du wurdest bereits zu Festivals in Deutschland, Finnland, Kanada, Polen, Marokko und Ägypten eingeladen. Dieses Jahr fliegst du nach Taiwan. Ist es schwer, als Performance-Künstler über die Runden zu kommen, auch wenn soviel Interesse an deiner Arbeit besteht?
Die Einladungen und Auftritte klingen zwar aufregend und um die Reisen wird man beneidet, aber wie ephemere Kunst vergütet wird, ist eine umstrittene Frage und unmöglich pauschal zu beantworten. Um von Performance-Kunst leben zu können, muss man darunter viel mehr verstehen, als nur Performances aufzuführen. Man muss vor allem fleißig sein und Anträge auf Förderungen schreiben und an Ausschreibungen für bezahlte Residenzen oder Auftritte teilnehmen und dann auch noch Glück haben. Am besten angelt man sich noch eine*n großzügige*n Mäzen*in! Aber die Unsicherheit über ein Einkommen bleibt. Persönlich kenne ich keine Performance-KünstlerInnen, die ausschliesslich von ihrer Kunst leben können. Viele verdienen ihr täglich Brot in der kulturellen Bildung. Ich genieße zur Zeit noch den Luxus Student zu sein, werde aber wohl auch den Weg einschlagen, zusätzlich zum Kunstschaffen ein möglichst flexibles Anstellungsverhältnis zu erarbeiten.
Woran arbeitest du momentan? Was ist dein neustes Projekt?
Momentan arbeite ich an einer großflächigen Installation, die Dreh- und Angelpunkt für verschiedene performative Aktionen werden soll. Grundlage dafür sind Fotografien, die vom IS für Propagandazwecke im Internet verbreitet werden und mir seit zwei Jahren immer wieder auf Facebook und in queeren Nachrichtenblogs begegnen. Darauf sieht man die brutale Ermordung homosexueller Männer in Syrien und im Irak. Ich finde es wichtig, für solche alltäglichen, grausamen Ereignisse eine Übersetzung in die Kunst zu finden, denn nur so können wir uns dem Thema emotional annähern, können kollektive Ignoranz herausfordern und bestenfalls sogar geteiltes Trauma bewältigen. Für dieses Projekt bin ich noch auf der Suche nach mutigen Förderern und mutigen Ausstellungs- und Aufführungsorten.
Gibt es weitere Themen, denen du dich perspektivisch intensiv widmen möchtest?
Meine Mama fragt immer, ob ich denn nicht mal ein leichteres Thema angehen könnte und meine Mitbewohnerinnen wünschen sich mal etwas Heiteres, glaube ich. Perspektivisch will ich mich meinem eigenen Ableben widmen und wie ich in den sozialen Medien darüber hinaus “weiterleben” kann. Wenn man sich intensiv mit dem Sterben beschäftigt, rückt das Leben auf eine sehr charmante und schätzenswerte Weise in den Vordergrund. Vielleicht kann ich das ja als heiter und leicht verkaufen!
Lieben Dank für das Gespräch, Felix Roadkill.
Die nächste Performance: 28./29. Mai auf dem 4. Internationalen Performance Art Weekend in der Cell63 artplatform in Berlin-Neukölln
Hier gehts noch zu dem Interview mit dem Hildesheimer Kollektiv Henrike Iglesias!
- Und was macht man damit? #22 Lisa Wiedemuth - 24. Februar 2018
- Und was macht man damit? #21 Marie Krutmann - 22. Oktober 2017
- Und was macht man damit? #20 Susann Kretzschmar - 6. Oktober 2017