Eine Woche ist vergangen, seitdem der open mike zum 23. Mal veranstaltet wurde. Zwei Tage lang bahnten sich 20 verschiedene Autoren und Autorinnen im Heimathafen Neukölln mit ihren Texten den Weg in die Ohren kritischer Zuhörer. Am Ende gab es drei Gewinnerinnen. Theresia Töglhofer. Jessica Lind. Andra Schwarz. Mit dem Publikumspreis der taz-jury wurde Philip Krömer ausgezeichnet. Herzlichen Glückwunsch!
Die Frage nach dem Warum
Als ich den open mike besuchte, als ich mir die Texte aufmerksam anhörte, als ich mir die Zeit nahm, jedem Text gerecht zu werden, blieb im Hinterkopf immer die Frage, von der ich nicht mehr weiß, wie oft sie mir in den letzten Monaten und innerhalb der verschiedensten Seminare gestellt wurde. Eine Frage, die auf der Annahme beruht, dass wir Studierenden der Literatur uns alle auf einem Terrain bewegen, auf dem wir nur wenig bis gar kein Geld verdienen werden. Geht es denn wirklich nur darum? Also:
Warum Literatur? Warum brennen Sie für L i t e r a t u r? Literaturliteraturliteratur.
Umso öfter ich das Wort schreibe, desto weniger verstehe ich es. Der Ursprung muss her. Ich muss den Ursprung finden – kenne ich ihn nicht schon? Lateinisch: litteratura. Sprachkunst. Ach, so heißt doch dieser Studiengang in Wien. Kunst. Sprache. Schreibschulen. Sprachschulen? In Wien sagen sie wohl auch Funkenkitzler, sozusagen als nette Umschreibung eines Elektrikers. So ist das. Man bewirbt sich mit einem Text, man nimmt an einem Wettbewerb teil. Man wird etwa AutorIn, LektorIn, LiteraturwissenschaftlerIn. Formiert sich zu einem kleinen Teil des Literaturbetriebs. Warum? Was wollen wir, was möchte ich von all diesem? Wenn ich es definieren muss, wenn ich ganz egoistisch das Wort schmecke, dann wünsche ich mir Geschichten, in die ich eintauchen kann und nach denen ich mich ‚verwandelt‘ habe. Sei es, dass mein Weltbild sich dehnt, dass etwas Neues für mich greifbar wird – nach der Erzählung bin ich dann nicht mehr die, die ich vorher war. So mein Anspruch an das Gebiet, für das ich brennen muss, wenn ich in darin überleben möchte.
Die Antwort auf das Warum
In dem Augenblick, in dem ich dann da und somit Teil des open mike war, erwachte in mir erneut der Gedanke, dass ich doch nicht so recht weiß, warum ich für Literatur brenne und wofür wir das alle machen. Wieso wird dieser Wettbewerb veranstaltet? Veranstalten wir ihn am ende nicht doch nur für diesen kleinen, winzigen Teil der Bevölkerung, der Sprache und Kultur genießt? Schaffen wir uns nicht selbst bloß unsere Unterhaltung, unsere Beschäftigung? Die üblichen Vorwürfe und Zweifel wanderten in mir hoch. Sie verließen mich, als der erste Text begann und Hilde Drexler ihren Zinnentanz darbot. Ein Gegenvorschlag zu all den Thematiken, die bisher schon da waren. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, welches Sujet denn relevant genug ist, um auf einem Wettbewerb wie dem open mike zu bestehen. Drexler ist eine „österreichische Judoka“ wie (ja!) Wikipedia mir verrät. Und nicht nur im Kampfsport weiß sie sich einzusetzen, nein auch ihr Text überzeugte durch ihre Wortgewandtheit und Wortgewalt. Ich war dabei, wie eine Geschichte entstand und dann editiert, weiterentwickelt, abgebrochen wurde.
Wenn das mal nicht komisch wirkt… ach, viel zu schwülstig, viel zu schwülstig. Wortbombast, so wird man nicht Literatur, so wird man bestimmt nicht Literatur, viel zu pathetisch, das ist nicht in, Kitsch, wird es heißen und: Stabreimobsession, hmm, besser wäre so ein vergeistigtes Gefasel: in ihrem Kopf mäandern die Gedanken oder so was… viel zu harmlos alles… ach schlecht, alles schlecht!
Wie Drexlers Zinnentanz dann vollendet wurde, hört selbst:
Meine Zweifel besiegte auch Felix Krackes Text Bist’n good boy, Matze. Matze, das ist einer, in dem zum einen Jugendkultur, zum anderen ein guter Freund symbolisiert wird. Einer, von den großen, von denen, zu denen man aufsehen konnte, als junger, freier Mensch und einer, der immer noch Teil des Lebens von Tim, Pete und Jess bleibt. Auch wenn der Leser nicht erfährt, was nun genau mit Matze geschehen ist. Das Bild der trauernden Jugendlichen, die über vergangene Zeiten und ihre jetzige Freundschaft sinnieren, bleibt nachdrücklich hängen.
Wir stehen Spalier und vor den Morgen auf. Steigen auf die Dächer, als wär‘ keine Zeit, kein Tag vergangen. Sprechen die Lügen, bis sie wieder stimmen, Rettung durch Fiktion. Denn wenn man daran wachsen soll, bleiben wir lieber klein. Wir können nicht viel, aber immerhin: Was versprechen und diesmal nicht nur heiße Luft. Denn du warst ein good boy, Matze, und noch viel mehr.
Felix Krackes Text könnt ihr Euch hier anhören:
https://soundcloud.com/user-694573966/lesung-bistn-good-boy-matze-felix-kracke
Der Auszug Wolf aus dem Roman Den Kern schluckt man nicht war szenisch so dicht erzählt, dass er in mir einen Film entstehen ließ. Einen bedrängenden und beängstigenden Film, in dem ich jede Sekunde war ohne Filmriss, ohne Langeweile. Das Bild einer Kaffeetasse, in die Milch eingeschenkt wird. Das Klackern eines Teelichtglases auf Holz. Ungewaschene Wäsche. Zigarettenstämme. Wald. Ganz unmerklich baut der Text eine geheimnisvolle Spannung auf:
M. sah zu, wie die Milch in die braune Flüssigkeit eindrang, darin verschwand, beim Umrühren erneut sichtbar wurde, allmählich mit dem Kaffee sich vermischte. Als der Vater die Tasse nahm, schwappte etwas Kaffee über den Rand und auf das Plastik des Tabletts, doch der Vater ignorierte das, ging vor zum Fenster und öffnete es. Er fingerte eine Zigarette aus der zerdrückten Schachtel und schob sie zwischen die Lippen.
Zum Nachhören:
Wenn ihr Lust auf weitere Lesungen des 23. open mike zum Anhören habt, schaut mal bei litradio vorbei oder auf dem Blog des open mike. Sehr ans Herz zu legen ist außerdem das Interview von Marie mit Bettina Wilpert.
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