Die Baseler Autorin Simone Lappert hat einen eindrucksvollen ersten Roman geschrieben. Wurfschatten wurde bereits letztes Jahr bei WALDE + GRAF bei METROLIT veröffentlicht und erzählt die Geschichte einer jungen Frau, Ada, die mit Ängsten kämpft und von ihren Freiheiten überfordert ist. Emotional intelligent und sehr empathisch geht Simone Lappert dabei vor. LITAFFIN hat bereits letztes Jahr eine Rezension zu Wurfschatten veröffentlicht. Jetzt hat Anna sie zum Interview getroffen – bzw. ans Telefon geholt – und sprach mit ihr unter anderem darüber, wie man eigentlich über so etwas Persönliches wie Angstzustände schreibt.
Jedes Wort hat einen Klang, ein Satz hat einen Rhythmus, und darüber kann man genauso viel erzählen, wie über den Inhalt. Ich muss immer mithören, was ich schreibe, es muss richtig klingen.
Vor Wurfschatten hast Du ausschließlich Lyrik verfasst. Wie kam es zu einem Roman?
Das stimmt nicht ganz, ich habe immer Prosa und Lyrik gleichzeitig geschrieben. Allerdings wurde meine Lyrik zuerst veröffentlicht und wahrgenommen, deswegen könnte man das so denken. Aber eigentlich lief das von Anfang an nebeneinander her und das eine hat das andere nie ausgeschlossen. Ein Thema sucht sich seine Formen. Ich glaube, wenn man diesen Punkt zunächst ein bisschen frei lässt, dann wird nicht aus allem entweder ein Gedicht oder ein Roman. Da kann das auch gut nebeneinander her laufen.
Liegen also irgendwo in einer dunklen Kammer Gedichte über deine Protagonistin Ada oder hast Du von vornherein gemerkt, dass das jetzt ein Roman wird? Befruchten sich Lyrik und Prosa gegenseitig?
Nein, über Ada gibt es keine Gedichte. Aber im Laufe des Schreibprozesses sind schon Bilder aufgetaucht, vielleicht auch mal ein Satzfetzen. Aus denen wurde manchmal ein Gedicht. Aber das war dann kein Nebenprodukt des Romans, sondern ein eigenständiger Text. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass Lyrik ein bisschen mein Rückzugsort ist. Wo ich nicht eine Öffentlichkeit suche, wo ich nicht auf ein Buch hinarbeite und den Leser weniger mitdenke.
Du hast sechs Jahre lang an dem Buch gearbeitet. Bist Du perfektionistisch?
Das weiß ich gar nicht. Mir ist beim Schreiben wichtig, dass ein Wort nicht nur eine inhaltliche Bedeutung hat. Jedes Wort hat einen Klang, ein Satz hat einen Rhythmus, und darüber kann man genauso viel erzählen, wie über den Inhalt. Ich muss immer mithören, was ich schreibe, es muss richtig klingen. Vielleicht ist es deswegen eine langwierige Arbeit.
In den WGs, in denen ich gelebt habe, fand ich schon immer diesen kurzen Moment zwischen zwei Bewohnern faszinierend, wenn ein Zimmer so eine besetzte Leere ausstrahlte.
In einem Interview meintest Du einmal, dass ein gutes Buch eine Art Einladung sei, die man nicht ausschlagen könne. Zu was willst Du den Leser mit Wurfschatten einladen?
Es geht darum, dass ein gutes Buch eine Einladung ist, die man annimmt, obwohl man nicht weiß, was einen erwartet. Das ist sicherlich so bei Wurfschatten, dass ich den Leser dazu einlade, sich auf diese ungewöhnliche Welt und auf diese Ängste von Ada einzulassen. Im besten Fall kann er sich in das hinein fühlen, was Ada durchlebt. Das ist mein Versuch. Ich habe bei den Recherchen und Gesprächen gemerkt, dass dieses Thema schwer in Worte zu fassen oder Menschen begreiflich zu machen ist, die betroffenen Personen verstehen es oft selbst nicht. Ich habe also versucht, das nachempfindbar zu machen, vielleicht sogar nacherlebbar.
Wie kamst Du auf dieses Thema der Angst? Wie hast Du dich der Figur von Ada genähert?
Da muss ich ein bisschen ausholen. Ganz am Anfang, bevor Ada Ada hieß und bevor Juri Juri war, hatte ich nur das Bild von einem leeren Zimmer im Kopf. In den WGs, in denen ich gelebt habe, fand ich schon immer diesen kurzen Moment zwischen zwei Bewohnern faszinierend, wenn ein Zimmer so eine besetzte Leere ausstrahlte. Ich habe irgendwie angefangen, von diesem Bild aus zu schreiben. Am Anfang gab es eine weibliche Figur, die noch keinen Namen hatte, das waren diffuse Texte über eine Frau auf der Flucht. Irgendwann wurde deutlich, dass sie vor etwas Angst hatte, und ich habe angefangen, das herauszuarbeiten. Es hat Zeit und Mut gekostet, mich da heranzutrauen. Ich habe recherchiert, mit Leuten gesprochen und mich dieser Figur genähert. Das war so eine Art Versuchsanordnung. Mir war klar, es sollte eine Frau geben und einen Mann, eine Art Liebesgeschichte. Ich hätte es gerne gehabt, dass sie sich verlieben, aber das hat anfangs nicht funktioniert. Die wollten sich irgendwie nicht haben. Aber als die Angst mehr Platz bekommen hat im Text, ist etwas passiert mit den Figuren, es kam Reibung hinein. Da habe ich gemerkt, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
Es wird in Wurfschatten nicht geklärt, warum Ada diese Angstzustände hat.
Es ging mir darum, den Moment vor der Diagnose zu beschreiben, wenn man der Hilflosigkeit ausgesetzt ist, sich unfähig und nicht richtig fühlt. Ada sagt es ja selbst. Sie hat keine Narbe am Körper, es gibt kein Ereignis in ihrer Vergangenheit, worauf sie zeigen kann, kein vorzeigbares Trauma. In den Gesprächen während meiner Recherche wurde mir klar, wie schlimm das ist, wenn man nicht weiß, was mit einem los ist. Vor allem, wenn die Momente der Hilflosigkeit und Panik wiederkommen. Eine Diagnose kann eine Art Erleichterung sein, weil man dann etwas in Worte fassen kann, was man vorher nicht einordnen konnte. Mich hat aber das Davor interessiert. Nicht wie es ist, sondern wie es sein könnte, wenn es nicht diagnostiziert und therapiert wird. Da ist eine Person, die sich entziehen möchte und die beschlossen hat, „es“ alleine loszuwerden, was „es“ auch immer ist und woher „es“ kommen mag. Was passiert, wenn so jemand sich auf eine Nähe einlassen muss, wie Ada auf Juri? Dann wird es spannend.
Wenn man die Figuren lässt, dann machen sie was sie wollen, erobern das Blatt, auf dem sie stehen und stellen sich den eigenen Plänen entgegen.
Ist Ada ein Sinnbild für eine Generation, die weiß, jung, gesund und gebildet ist und trotzdem einfach nicht glücklich wird?
Das wird gerne geschrieben, aber das ist nicht die Art und Weise, wie ich über meine Figuren nachdenke. Meine Figuren sind keine Marionetten, die ich über das Spielfeld führe. Im besten Fall entwickeln sie ein Eigenleben. Wenn man die Figuren lässt, dann machen sie was sie wollen, erobern das Blatt, auf dem sie stehen und stellen sich den eigenen Plänen entgegen. Sie werden wie Freunde für mich, wie Leute, die man kennenlernt über das Schreiben. Deswegen sind sie keine Kapseln, die man mit dem befüllt, was man glaubt, in die Welt hinaustragen zu wollen. Sinnbild und Allegorie, das heißt auch immer Vereinfachung und Verknappung auf ein Symbol. Ich habe versucht, in die Tiefe zu gehen.
Weißt Du, wie es Ada jetzt geht?
Eine Freundin von mir macht gerade ein Projekt, das „Bücher von Freunden“ heißen soll. Es geht um den Entstehungsprozess dieser Bücher der Freunde und darum, wie Freunde diesen begleitet haben, und zwar nicht aus der Kritikersicht. Meine Freundin hat in einem kurzen Abschnitt geschrieben: „Ada ist bestimmt irgendwo im Campingwagen in einem Erdbebengebiet zusammen mit Juri.“ Das fand ich großartig. Seither sehe ich Ada immer in so einem Campingwagen.
Wovor hast Du Angst?
Da fallen mir viele Dinge ein. Beim Schreiben habe ich die Angst, dass das, was ich sagen möchte, nicht schreibbar sein könnte, dass es nichts Ganzes ergibt. Ich arbeite gerade an einem neuen Roman, und da ist diese Angst immer dabei.
Kannst du von deinem neuen Projekt schon etwas erzählen?
Ja, es wird etwas sehr anders. Es wird sehr viele Figuren geben, fast zehn, die alle wichtig sind und ein Ereignis, das sich aus vielen Blickpixeln zusammensetzt und dadurch immer wieder anders gesehen wird.
Vielen Dank für das nette Gespräch!
Zur Rezension von Wurfschatten hier entlang.
- Das Gewissen ist rein – nur Bio muss es sein. - 6. Dezember 2015
- Im Gespräch mit Simone Lappert - 21. Oktober 2015
- Im Gespräch mit den metamorphosen - 16. Juni 2015