Das Literaturmagazin metamorphosen ist gar nicht mal so jung. Bereits 1990 wurde es in seiner ursprünglichen Form als Magazin für Hochschulpolitik von Heidelberger Studenten gegründet, bis es ein paar Jahre später zu seiner wahren Bestimmung, der Kulturberichterstattung fand. Nachdem der ursprüngliche Verleger, Ingo Držečnik, nach Berlin umsiedelte, um den Elfenbein Verlag zu gründen, schickte er das Magazin in den Winterschlaf. Vor drei Jahren dann, 2012, hat eine Gruppe von Studenten der Humboldt-Universität sich dem Projekt angenommen. metamorphosen, Episode II, sozusagen.
Ein Gespräch mit einem der Herausgeber, Moritz Müller-Schwefe, über die Themen des letzten Heftes, die Themen des aktuellen Heftes, und andere Themen, die uns bewegten.
Eure letzte Ausgabe erschien unter dem Titel Vermessung. Auf was spielt dieser Titel an?
Da könnte man jetzt an Daniel Kehlmann denken. Mit ihm hat das aber gar nicht so viel zu tun. Es war eher eine pragmatische Entscheidung, weil viele unserer Redakteure gerade im Ausland waren oder sind, in Frankreich, den USA, Kanada, der Schweiz und Italien. Deswegen war die Idee: Schaut euch doch mal um, was euch in den Ländern, in denen ihr seid, so an junger Literatur auffällt. Worüber ihr stolpert, was für Magazine euch über den Weg laufen – und berichtet darüber. Es ist unglaublich spannend, zu sehen, wer wo wie und was schreibt. Natürlich haben wir am Ende immer noch keine generelle Aussage darüber treffen können, aber man hat immerhin mal einen kleinen Einblick bekommen in diese globale Generation der Schreibenden. Es ist spannend zu sehen, ob ein junger Autor engagiert oder apolitisch, schreibt, auf wen er sich bezieht, welchen Stil er wählt und warum – und so weiter. Deswegen, dachten wir an diese vermessene Vermessung.
Worauf darf man sich freuen?
Es gibt in dieser Nummer zum Beispiel einen Text von Sascha Klein. An dem hat uns besonders gefallen, dass er aus der Perspektive eines Sportstudenten geschrieben ist. Wir fanden das interessant, mal was anderes. Das ist kein verkopfter Roland-Barthes-Spezialist, der sich nach Bukarest aufmacht und dort alles analysiert, was ihm vor die Linse kommt. Nein, die Perspektive ist eben die eines Sportstudenten, der wahllos irgendeinen Flug bucht und dessen Kumpel noch nicht einmal weiß, wo Bukarest liegt. So geht’s ja los. Das hat so was Unbefangenes. Die fahren nach Bukarest in den Urlaub, und das hört sich erstmal einigermaßen weit weg an, aber im Grunde ist es, zumindest so wie sie die Stadt erleben, schlicht nur eine weitere konsumtempelgepflasterte Stadt, die so wie sie hier beschrieben wird auch im Ruhrpott liegen könnte.
Hast du bei dem Text das Gefühl, dass der politisch sein wollte?
Auf eine subtile Weise, ja. Es ist ein Text, der etwas mit dir macht. So unbefangen er losgeht. Irgendwann beginnst du z.B. über den deutschen Export nachzudenken, den Konsum und den Kapitalismus. Du findest es beispielsweise einfach absurd, dass die beiden nach Bukarest fahren, um dann erstmal zu „Mäckes“ und real zu gehen und in einer Mall vor KFC rumzulungern.
Wenn man diese Geschichte gelesen hat, fühlt man sich auch ein bisschen, als ob man gerade bei McDonald’s war.
Genau, dieses fettige, miefige, ein bisschen schmierige. Die Atmosphäre erinnert mich ein wenig an Jérôme Ferraris Balco Atlantico. Text und Erzählstil bringen dich in so ein zwielichtiges, später auch erotisch aufgeladenes Milieu. Es ekelt und lockt zugleich, ein spannender Effekt.
Du hast ja bereits ein paar Autoren für die metamorphosen interviewt, u.a. Jonathan Franzen, Sarah Khan, Joshua Cohen und Juan S. Guse. Wie bekommt man jemanden wie Franzen vor’s Mikrofon einer studentischen Literaturzeitschrift aus Berlin?
Ich versuche es einfach und frage. Entweder im Gespräch oder per Mail. Franzen zum Beispiel habe ich auf einer Lesung in Santa Cruz getroffen und er hat gleich zugesagt. Ich konnte es gar nicht fassen. Das schöne ist, dass das fast der „Normalfall“ ist. Und das war auch der große Aha-Effekt als wir mit den metamorphosen begonnen haben. Zu sehen, dass die meisten Autoren sagen „Klar, mache ich“, obwohl wir z.B. kein Honorar zahlen können.
Autoren wollen vermutlich ja auch einfach unterhalten werden und freuen sich, wenn mal eine junge Stimme mit einer ganz anderen Perspektive kommt.
Und ich glaube, das ist der „Joker“, den die metamorphosen haben. Es gibt ja viele Literaturzeitschriften, gerade studentische. Die meisten veröffentlichen allein kreative Texte, Prosa, Lyrik. Vielleicht auch mal ein Interview, ein Essay, einen Leitartikel, aber der Fokus liegt darauf, Plattform zu sein für junge Schreibende. Das sind wir auch, aber es gibt wenige studentische Literaturzeitschriften, die sich auch als Kulturberichterstattungsorgan sehen, so wie wir das tun. Es gibt das Feuilleton, es gibt die großen Zeitschriften, wie Lettre, VOLLTEXT und so weiter, aber wenige Stimmen aus der studentischen Ecke, die sich die Bücher anschauen, lesen und vielleicht eine ganz andere, freche, kantige Meinung dazu haben. Wie gesagt, vielleicht ist es auch das, was die Autoren dann interessiert, wie werde ich und wie werden meine Bücher von Studenten wahrgenommen?
In der erwähnten letzten Ausgabe interviewt ihr andere Literaturzeitschriften. Wie ist der Austausch zwischen den Literaturzeitschriften generell?
Leider gab es den bisher relativ selten, das ist etwas schade. Mit den Interviews, die wir mit anderen Magazinen geführt haben, wollten wir das jetzt einmal ändern. Derzeit planen wir mit einer anderen Zeitschrift einen jungen Literaturpreis auszuschreiben. Genauso denken wir gerade über eine Schreibwerkstatt nach, die wir zusammen mit einem Magazin aus Düsseldorf initiieren wollen. Man muss sich halt darum bemühen, dass eine Zusammenarbeit zu Stande kommt – und wenn man mal anklopft, dann passiert auch etwas. Anders herum aber bekommen wir selten eine Anfrage für einen Austausch, eine Kooperation o.ä.
Wie viele Einsendungen bekommt ihr durchschnittlich? Bekommt ihr mehr Prosa oder mehr Lyrik?
In letzter Zeit bekommen wir um die 30 bis 40 Einsendungen. Nicht unbedingt viel. Wir waren am Anfang aber auch mal bei 20. Zunächst haben wir sehr viel Lyrik bekommen, mittlerweile mehr Prosa. Unsere aktuelle Ausgabe behandelt die sogenannte Generation Y und zum Beispiel die Frage, ob wir, die wir ihr angehören, uns heute überhaupt noch politisch äußern, oder ob wir schlicht die Klappe halten. Ob die Prosa jetzt das geeignetere Medium dafür ist, sich dazu zu äußern, kann ich nicht sagen. Wir haben aber zu dieser Ausgabe eben sehr viele Essay- und Prosa-Einsendungen bekommen.
Kann man sich in einem Gedicht weniger gut politisch äußern?
Interessante Frage. Für die aktuelle Ausgabe habe ich ein Gespräch mit Tobias Roth geführt. Vorab haben wir uns zwei, drei Mal getroffen und über die Frage gesprochen, wie wir uns heute politisch äußern. Ob zum Beispiel die political correctness dem sich politisch äußern im Weg steht. Und das ist eine hochspannende Frage, denn in Zeiten von Shitstorm und Co, geht man bei beinahe jeder Äußerung die Gefahr ein, an ihr gemessen zu werden. Das scheint mir vor allem im Unikontext so zu sein. Und das ist nicht ganz einfach. Wie spricht man Probleme an, politische Probleme gerade, ohne ein oft angeblich inkorrektes Vokabular zu benutzen? Das ist gerade bei Themen wie Gender, Ethnien oder der Geschichte (siehe Münkler-Watch) hochbrisant. Klar, du kannst dich natürlich immer irgendwie politisch korrekt äußern und stets darauf achten, jedem gerecht zu werden, aber ist es immer der richtige Weg?
Gar nicht! Man tänzelt herum. Überall gibt es Spannungsfelder, die man am besten gar nicht berühren darf.
Die Lyrik bietet da zum Beispiel, findet Tobias Roth und finde ich auch, eine unglaubliche Chance. Neben dem Gespräch haben wir in der aktuellen Ausgabe auch ein Gedicht von ihm veröffentlicht. Darin geht es um ein Selbstporträt von Franz Xaver Messerschmidt. Natürlich, beim Namen Messerschmitt denkt man als Deutscher eigentlich immer an die Jagdflugzeuge, an Nazideutschland und an den Weltkrieg. Messerschmidt aber war ein Bildhauer, der u.a. eben auch ein kurioses Selbstporträt von sich angefertigt hat, eine Büste. Und es gibt da eine Zeile in Roths Gedicht, die lautet, „Ich werde Messerschmidt sagen / Unbeflecktt von Flugzeugen“. Gerade in der Lyrik hast du die Freiheit, ein historisch aufgeladenes Wort in einen Zusammenhang zu stellen, der ihm eben diese Schwere nimmt. Das ist wichtig, dass du auf diese Art Worte befreien und in einen neuen, einen anderen Kontext stellen kannst.
Was hast du zuletzt an junger Literatur gelesen, was dich beeindruckte?
Philipp Schönthaler, Nach Oben ist das Leben offen. Das ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die vor zwei, drei Jahren bei Matthes & Seitz erschienen ist. Tolle Kurzgeschichten. Die fassen an, sehr subtil, sehr tief.
Vielen Dank an Moritz für das Interview!
Mehr Infos zu den metamorphosen auf www.magazin-metamorphosen.de.
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