Simone Lappert: Wurfschatten

Mit den täglichen Ängsten leben – Wurfschatten

Der literarische Herbst 2014 ist alles andere als grau und trüb, sondern kommt in einer bunten Vielfalt daher, mit einer auffallend hohen Frauenquote und nicht zu verachtenden Debüts. Mittendrin ist auch Simone Lappert. Mit ihrem Debütroman Wurfschatten schaffte sie es auf die Shortlist des ZDF-„aspekte“-Literaturpreises für das beste literarische Debüt des Jahres.

Simone Lappert: WurfschattenWurfschatten – das erste Buch in diesem Jahr, das ich einfach nicht aus der Hand legen konnte und dennoch immer wieder zugeschlagen habe, damit es doch bitte nicht so schnell zu Ende geht. Doch leider ließ sich das nicht lange hinauszögern. So bleibt zu hoffen, dass Simone Lappert einfach möglichst bald eine neue Geschichte hinterher schickt, die mich genauso sehr fesseln wird, wie die von Ada und ihrer Therapietapete.

Nach außen hält Ada ihr Leben in einer perfekten Fassade aufrecht. Doch für eine Schauspielerin ist das auch nicht gerade schwer. Wenn sie jedoch allein in ihrer Wohnung ist, im Bett liegt, in sich hineinhorcht, dann kann sie ihre Ängste nicht weiter unterdrücken. Ihre Therapie: eine bepflasterte Wand mit allem Möglichen, das ihr Angst macht, alphabetisch sortiert, bebildert, in Großformat, von Attentaten bis hin zu Zysten und Tumoren. Die dunklen Flecke auf den Röntgenbildern haben es ihr besonders angetan: „Ada musste an die Schatten der Passanten denken und daran, dass Wurfschatten die Existenz ihrer Werfer bezeugten; Schatten im Inneren des Körpers hingegen bedeuteten Zysten, Tumore, Gerinnsel und gefährdeten die Existenz, löschten sie aus.“

Ada – wer ist das? Eine junge Frau, 25, ist vernarrt in Fische, gibt oft und gerne vor, jemand anderes zu sein (daher wohl auch die mehr oder weniger erfolgreiche Schauspielerei), verfolgt  eine ganz eigene Pyjama-Philosophie, ist eine notorische Lügnerin, ist das Mädchen, das nur bei Licht einschlafen kann, wenn überhaupt. Und immer die Angst. Ständig.

Doch plötzlich muss sich Ada all dem stellen, als Juri, der Enkel ihres Vermieters Matuschek, aufgrund von Mietrückständen bei ihr einzieht. Juri, der ihr ihren Raum stielt, den Kühlschrank belagert und sein Hab und Gut regelrecht kuratiert. So einen hat sie gerade noch gebraucht. Doch, wie sollte es anders sein, kommen sich die beiden nach ersten Startschwierigkeiten, einer gemeinsam durchlebten Panikattacke von Ada und zusammen überstandenen schlaflosen Nächten schließlich näher. „Vier wütende Hände jetzt, die an Reißverschlüssen und Knöpfen zerrten, die ungeduldig Haut freilegten und den fremden Körper absuchten, als wollten sie sich etwas zurückholen, was dort unrechtmäßig einbehalten wurde, und irgendwo in der Ferne heulte ein Autoradio auf, eine von der Distanz zerhackte Melodie, und für einen Moment war Ada ganz klar, roch ganz bewusst den Unterschied zwischen Juris Bart und der Haut an seinem Hals und begriff, dass sie nicht nur ihren Pyjama, sondern überhaupt jeglichen Schutz abstreifte, wenn sie Juri ihre dünne Haut preisgab.“

Kitschig ist das alles trotzdem nicht. Es fühlt sich eher an wie das ganz normale Leben, ohne besonders herauszustechen, ohne bewusst anders zu sein. Und dennoch ist Ada nicht nur das sorglose und unbeschwerte Mädchen von nebenan. Sie ist das Mädchen, das versucht, das Beste aus ihrem Leben zu machen, das lernt, dass sie nicht allein mit ihren Ängsten dasteht und diese vor allem nicht im Alleingang bewältigen muss. Denn zugegeben, an wem gehen die großen oder auch die kleineren Ängste des Lebens schon völlig spurlos vorbei?

Simone Lappert: Wurfschatten. Roman. WALDE + GRAF bei METROLIT. Berlin 2014. 207 Seiten. Gebunden. 20,00 €.

Wer Simone Lappert einmal lesen sehen und hören möchte, der kann sich hier das Video anschauen oder sie live am 4. November um 19:30 Uhr in der Buchhandlung Uslar & Rai beim Debütantenball treffen.

 

Sophie Gottschall
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