Eine Veranstaltung – vier Augen: Wo sind die politischen Themen in den Romanen unserer Nachwuchsautoren geblieben? Das wollte Florian Kessler letzte Woche im Roten Salon der Volksbühne mit seinen Autorengästen diskutieren. LITAFFIN war dort und berichtet aus zwei verschiedenen Federn von einem Abend, der dann doch eher Fragen aufwarf, als beantwortete.
Von Eva Schneider
Florian Kessler (32, Absolvent der Hildesheimer Schreibschule) wünschte, er würde sich für Tennis interessieren. Das Spiel ist sicherlich nicht schwierig zu kapieren / Ich wäre ganz bestimmt ein anderer als ich’s jetzt bin / Es wäre unbedingt ein Leben mit mehr Sinn (Tocotronic). Und auch bei eigenen Texten hat der Kulturjournalist ein Faible für ausgefallene Titelkreationen. Ende Januar erschien Kesslers Aufreger-Artikel „Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn!“ in der ZEIT. „Literaturdebatte“ steht klein über dem Titel. Aah, ok.
Völlig außer Acht gelassen, aus welchen Gründen Kessler einmal so richtig Dampf ablassen wollte: Der Kern der Sache verdient Aufmerksamkeit und ja, irgendwie musste doch mal darüber gesprochen werden. Wo ist das Politische in den Neuerscheinungen der jungen deutschen Autorengeneration geblieben? Liegt die magere Ausbeute an den „zahmen Schreibschulen“? Wer sind eigentlich genau diese Absolventen von Leipzig und Hildesheim und welchen Einfluss hat ihre soziale Herkunft auf ihre Texte? „Warum regnen ihre Romane nicht als Flugblätter vom Himmel?“, fragen außerdem Alina Herbing und Ursula Kirchenmayer auf dem Flyer zu ihrer Doppel-Veranstaltung „Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren“ – am 8. und 9. Mai im Roten Salon der Volksbühne.
„Nun sag, wie hast du’s mit der Politik?“ Donnerstagabend, halb 9 also. Heute auf der Bühne vier Autoren (Simon Urban, Thomas Klupp, Nora Bossong und Olga Grjasnowa) und in deren Mitte Florian Kessler, der in seiner Rolle „Hi, ihr seid in meinem Artikel teilweise nicht so gut weg gekommen, aber schön dass ihr da seid“, etwas unsicher rüberkommt und später gesteht, dass ihm bei der Diskussion doch eher „dauermulmig“ war.
Apropos Diskussion. Von der blieb man weit entfernt auf dem Podium. Man war nett zueinander, man stimmte sich zu. Konsensorientiert – so war das. Und das ist ja nicht immer schlecht. Nein. Aber es schaffte am Donnerstag eher noch mehr Fragen, die dann im Roten Salon so herumschwirrten: Ist der Roman heutzutage überhaupt ein geeignetes Mittel, um politische Debatten anzustoßen? Kann Literatur etwas in den Köpfen verändern? Wie politisch muss ein Autor sein und dürfen wir Leser das überhaupt erwarten? Wie können wir überhaupt sinnvoll politisch schreiben und welchen Einfluss hat das auf die Ästhetik? Was ist politisch? Und hat Deutschland nicht genug Probleme, die mal zum Thema werden sollten?
Es gab auch Antworten. Einig war man sich unter den Autoren, dass jeder Schreiber es so halten kann, wie er es möchte. Dann gibt es eben die einen, die über „Nazis und die DDR“ schreiben und dadurch bessere Chancen haben, auf die Shortlist zu kommen und die anderen, die alles „Politische“ aus ihren Zeilen raushalten, aber sich trotzdem für ihre Ansichten einsetzen können. Der Stichwortgeber hat also, so die Quintessenz, die gleiche Daseinsberechtigung wie der unpolitische Schreiberling.
Aber war das wirklich Thema in Kesslers Debattentext? Nein, denn es ist selbstverständlich den Autoren überlassen, was sie zu Papier bringen. Das ist oder sollte nicht die Frage sein. Warum vermehren sich die harmlosen, unkritischen, ja schön leisen Texte in diesen Tagen und der laute Aufschrei wird immer seltener und was hat das mit der sozialen Herkunft der Schreibschul-Absolventen zu tun – dem wollte man eigentlich auf den Grund gehen, oder? Dass Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, ein Sprachrohr in Form eines riesigen Publikumsverlags haben, sollte schon eine Debatte rund um deren „gesellschaftliche Verantwortung“ legitimieren. Und auch der Verweis darauf, das sei alles schon dagewesen, reicht nicht aus, um die Fragen, die Kessler stellt, für dumm zu erklären. Das wäre dann wie der Wunsch, sich für Tennis zu interessieren: spannend für „wenige“ und wichtig für fast niemanden.
Von Marc Dieke
Dann „sagt dem muntern Prinzen, dies Gespött
Verwandle seine Bäll‘ in Büchsensteine (…)“
(Shakespeare, Heinrich V., 1. Akt, 2. Szene)
„Warum laufen junge deutsche Autoren nicht mit brennenden Fackeln vor dem Bundeskanzlerinnenamt auf und ab? Warum regnen ihre Romane nicht als Flugblätter vom Himmel?“
Zwei zugegebenermaßen etwas polemisch formulierte Fragen, mit denen die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zum ersten Diskussionsabend einer vierteiligen Reihe mit dem nicht weniger bedeutungsschwangeren Titel „Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren“ lockte. Doch zu Gast auf der Bühne waren neben dem Moderator Florian Kessler eben auch vier junge erfolgreiche Autoren – und damit zur Frage, warum die neuere deutsche Literatur so unpolitisch sei, wie es das Feuilleton so gerne schreibt, auch ordentlich Meinung und Bedarf an Diskussion entsteht, kann etwas Polemik nicht schaden.
Im Nachhinein lässt sich sagen: Ziel verfehlt. Statt Kontroverse wanderte nämlich der Konsens zwischen den fünf roten Stoffsesseln hin und her. Erstes kollektives Kopfnicken rief dabei die Erkenntnis hervor, dass jeder Autor heutzutage frei ist, in dem, was er schreibt. Eine Antwort, der niemand widersprechen würde und die doch alles und nichts erklärt. Daraufhin folgte immerhin die Feststellung, dass politische Themen sehr wohl noch die Buchdeckel deutscher Gegenwartsliteratur füllen, diese aber meistens gesellschaftliche Probleme außerhalb der Staatsgrenzen behandeln oder sich der düsteren Vergangenheit von DDR und des Nationalsozialismus annehmen. Und warum? Weil in der Kraft der Aussage der Literatur auch immer das Umfeld (sowohl als Einfluss als auch als Rezipient) mit eingebunden ist und das ist, im Kontrast zu den oben genannten gängigen Themenfeldern, so gut wie nie zuvor. Zumindest wenn man aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammt und die Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim besucht hat. Danach hörte es sich nämlich sehr verdächtig an, wenn beispielsweise Thomas Klupp mit der gewagt formulierten Behauptung kommt, dass Arbeiterkinder eben nicht so gut schreiben können (und eben da das Problem liegt). Oder Olga Grjasnowa, die die abschließende Frage des Moderators, ob man nicht von einer bestimmten Autorenlinie der heutigen Zeit sprechen kann, verneint und vorsichtig ergänzt, „dass sich gewisse soziale Standards durchgesetzt haben.“ Kein Widerspruch aus der Runde. Also eine bürgerliche Literatur mit bürgerlichen Problemen von bürgerlichen Autoren für bürgerliche Leser? Während so auf der Bühne ein selbstgefälliger Friede-Freude-Autoreneierkuchen gebacken wurde, fühlten sich manche Zuschauer in der anschließenden Publikumsdiskussion dazu berufen, etwas Gegenmeinung in den Saal zu bringen. Größter Aufhänger war dabei die Kritik an der fehlenden inneren Haltung der Autoren zu gesellschaftlichen Themen in den Texten, ohne welche die Literatur zu reiner Unterhaltung verkomme.
Den Autoren nach diesem Abend aber den schwarzen Peter alleine zuzuschieben, wäre falsch, denn der Autor ist in seinem Schaffen zuerst nur dem unterworfen, was er schreiben will. Die eigentlichen Kontrollorgane, welche Themen und Richtungen in der literarischen Öffentlichkeit bestimmen, liegen außerhalb des Schreibkämmerleins bei den Verlagen, Schreibschulen, dem Feuilleton und schließlich auch bei uns, den Lesern. Als Endverbraucher können wir diese Mode mitgehen oder es sein lassen, frei sein in der Entscheidung was wir lesen, wie der Autor (in der Theorie) in dem was er schreibt. Werfen wir den Autoren politisches Desinteresse vor, sollten wir auch immer uns als Konsumenten hinterfragen. Denn solange unsere Hand im Geldbeutel die Autoren weiter füttert, müssen diese auch nicht ihre schriftstellerischen Motive verändern.
LITAFFIN will virtuell weiterdiskutieren. Mit euch!
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