Alexander Kluge ist lange vor dem Digitalzeitalter geboren. Was ist also von seinem Essay Die Entsprechung einer Oase zu erwarten, mit dem er sich explizit an die „digitale Generation“ wendet? Lesen kann man den Text jedenfalls nur digital – beim ambitionierten Kleinverlag mikrotext.
Alexander Kluge, Jahrgang 1931, ist wahrlich kein Digital Native. Dennoch hat er sein beeindruckend vielseitiges und umfangreiches Œuvre im März 2013 um einen kurzen Text ergänzt, den man zunächst vielleicht eher einem Jungautoren zugeschrieben hätte: Die Entsprechung einer Oase, ein Essay für die digitale Generation.
Kluge hat sich dem Wandel des digitalen Zeitalters nie verschlossen. Dass sein Text im aufstrebenden Kleinverlag mikrotext, der ausschließlich digital publiziert, erscheint, ist da nur konsequent. Die Zielgruppe hat er damit voll im Blick. Doch was vermag er uns, seiner Enkelgeneration, hinsichtlich der heutigen Technik, der veränderten Kreativ- und Veröffentlichungswege zu vermitteln?
Im Grunde enthält der kurze Text zwei verschiedene Anliegen, die etwas unvermittelt miteinander verbunden sind. Einerseits schreibt Kluge über das Überangebot der Beteiligungs- und Begegnungsmöglichkeiten, die das Internet erzeugt habe. Die sich daraus ergebende Suche des Users nach Bezugspunkten, um in der endlosen Weite des World Wide Web „bei sich selbst zu sein“, entspreche dem Bedürfnis nach einer Oase während einer Wüstendurchquerung. Andererseits bringt der Autor auch seine Perspektive zum Thema Urheberrecht ein – einem viel diskutierten und weiterhin umstrittenen Thema. Doch eins nach dem Anderen.
Der Ich-Ort in den Weiten des Internets
Wo immer der Mensch einem Zuviel ausgesetzt ist, bedarf es einer Entscheidung, die in jeglicher Ausprägung immer auch eine Verweigerung gegenüber anderen Möglichkeiten ist. Von dieser Überlegung ausgehend ist es naheliegend, dass eine Selektion auch notwendig ist, um die von allen Seiten auf den Nutzer einfallende Informationsflut im Internet zu bewältigen. Wer einmal jemanden bei seinen ersten Versuchen, sich im Internet zurechtzufinden, beobachtet hat, wird dies nur unterstreichen können. Insofern leuchtet Kluges Bild der Oase durchaus ein. Leider stiftet er anschließend wieder Verwirrung, wenn in der nächsten Metapher auch ein Boot, das einen über den weiten „Ozean von Information“ bringt, die Entsprechung einer Oase sein soll. Hier wird die Möglichkeit zur Reise mit dem dadurch erst erzeugten Bedürfnis nach einer Ruhepause gleichgesetzt.
In jedem Falle ist die Schaffung solcher Oasen im Internet für Kluge ein wichtiges Ziel: „Wenn ich etwas mache, in meiner Oase, das nur sieben andere auf der ganzen Welt interessant finden, hat es sich gelohnt“, da man diesen sieben Menschen damit einen Ruhepunkt ermöglicht habe. Kluges Beschreibung der Suche nach Ich-Orten inmitten des Netzes weckt unweigerlich den Gedanken an einen Zusammenhang mit der Selbstdarstellung des Nutzers im Internet, etwa auf Facebook.
„Meine Kinder gehören ja auch nicht mir“
Doch es folgen andere Themen: Die Toleranz Neuem gegenüber, die sich bei jungen Menschen durch die Vielstimmigkeit und Vielsprachigkeit des Internets verankert habe, die Möglichkeiten des Feedbacks als neue „Dimension der Kommunikation“. Und schließlich die These, dass das eigentlich Poetische und demnach die schriftstellerische Aufgabe heute sei, „nicht mehr Substanz, sondern Gefäße für Substanz zu schaffen, die auch für andere erkennbar sind.“ Eine reichlich unscharf gehaltene These, die zudem noch den Blick auf einen anderen Themenblock des Essays freigibt:
„Ich habe keine Angst davor, dass meine Werke kopiert werden. Denen bekommt das gut. Meine Kinder gehören ja auch nicht mir“, beginnt Kluge seine Ausführungen über das Urheberrecht mit einem durchaus gewagten Vergleich. Was nun folgt, ist die Perspektive eines längst etablierten Künstlers, den ein paar Verletzungen seines Urheberrechts nicht schmerzen, weil er darauf nicht angewiesen ist. Stolz sei er sogar, als er entdeckt habe, „dass meine schwierige, neuneinhalb Stunden lange Filmsammlung Nachrichten aus der ideologischen Antike. Eisenstein. Marx und das Kapital jetzt im chinesischen Youtube mit chinesischen Untertiteln zu sehen ist, die jemand freiwillig erstellt hat“. Das klingt, angesichts der Tatsache, dass dieses Werk hierzulande für knapp 30 Euro im Suhrkamp Verlag erschienen ist, beinahe höhnisch gegenüber (jungen) Künstlern, die auf das Internet als einzige Verkaufs- und nicht als kostenlose Ergänzungsplattform angewiesen sind. Die Lösung seien laut Kluge „neue Modelle der Symbiose“. So schlägt er vor, dass große Unternehmen wie Google und Microsoft Stiftungen gründen und wertvolle Produktionen unterstützen. Spätestens mit dem Argument jedoch, Künstler brauchten kein Urheberrecht, denn sie hätten es vor 1800 auch nicht gebraucht, wird deutlich, dass Kluges Vision ein wenig mehr Orientierung an der gegenwärtigen medialen Realität vertragen könnte.
Anregende Fährten für den digitalen Leser
Letzten Endes bleibt so sein Aufruf, man solle sich zusammenschließen wie die Lebewesen eines Korallenriffs, um sich gegen die großen Konzerne zu behaupten, lediglich ein Wunsch, dem eine stringente Argumentationsbasis fehlt.
Kluge legt viele anregende Fährten, in denen seine Originalität und die Weisheit des gestandenen Künstlers durchscheinen. Leider aber verfolgt er sie nicht weiter und die angesprochenen Themen verbleiben meist im Ungefähren. So oft man glaubt, den roten Faden gefunden zu haben, so oft verliert man ihn in der Folge wieder. Es mag dies der Tatsache geschuldet sein, dass der Text auf einem Telefongespräch basiert. Die Erwartung eines philosophisch ausgetüftelten Essays würde hier also enttäuscht. Als Inspiration hinsichtlich möglicher Entwicklungen und Themen der digitalen Generation mag er sich aber allemal eignen.
Alexander Kluge: Die Entsprechung einer Oase. mikrotext. ca. 50 Smartphone-Seiten, 2,99€.
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- Die Entsprechung einer Oase – Alexander Kluges Essay an die digitale Generation - 21. Januar 2014
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Danke für die aufschlussreiche Rezension! Das trifft den Nagel auf den Kopf: Es sind die etablierten Schriftsteller, die generös aufs Urheberrecht verzichten wollen, oder die Performance-Künstler und Theater-Schauspieler, die sagen, ach, Urheberrecht, das braucht man heute doch nicht mehr. Na Bravo!
Und den Kunstbetrieb durch Stiftungen von Google und Microsoft sichern??? Auch die Kunst dort ansiedeln?
Und das Scheinargument, dass es in der Antike auch ohne Urheberrecht ging? Auf solche Einwürfe kann man verzichten.