- Amazon kontrolliert alles: von der Produktion bis zur Rezeption, jeden Metatext über alle Medien hinweg. Eine schöne Startup-Weisheit sagt: „If you can’t beat them, join them!“ Bisher folgen also alle. Fast alle: Volker Oppmann gründet derzeit LOG.OS, das „Wort als Betriebsystem“. Es soll das können, was Amazon kann, und dazu noch gemeinnützig sein. Es klingt wie ein Witz und ist doch möglicherweise die Chance, sich gegen Amazon zu behaupten.
Volker, kannst Du in einem Satz beschreiben, was Du vorhast?
Eine gemeinnützig organisierte eBook-Plattform namens LOG.OS.
Und nun ausführlich: Was genau ist LOG.OS?
Unser Ziel ist der Aufbau einer gemeinsamen technischen Infrastruktur für den Literaturbetrieb, die eine direkte Interaktion zwischen Privatpersonen (Lesern), Branchenteilnehmern (Buchhandlungen, Verlage) sowie öffentlichen Institutionen (Universitäten, Schulen und Bibliotheken) ermöglicht.
Der Name LOG.OS setzt sich aus dem griechischen „lógos“ für „Wort“ und der Abkürzung OS für „operating system“ also Betriebssystem zusammen. Warum braucht die Buchbranche ein Betriebssystem?
Unter dem Strich geht es darum, die Kräfte der Branche über eine zentrale Plattform zu bündeln, da jeder für sich allein wenig ausrichten kann. Und auch insgesamt geht der Trend hin zu integrierten Systemen, die alles aus einer Hand bieten. Insofern ist das mit dem Betriebssystem metaphorisch gemeint – man könnte alternativ auch von einem Literaturbetrieb mit System sprechen (lacht). Konkret kann man sich das Ganze als einen Würfel vorstellen: jede Würfelseite entspricht einer eigenen Benutzeroberfläche, wobei letztlich aber alle auf den gleichen Systemkern in Form einer digitalen Bibliothek zugreifen.
Also ist LOG.OS eine digitale Bibliothek?
Im Kern ja – im Sinne einer Sammlung von Inhalten. LOG.OS ist gleichzeitig aber auch viel mehr als eine Bibliothek, eine so genannte „Multi-Sided Platform“. Insofern ist das Bild des Würfels auch sehr passend: Die Wahrnehmung dessen, was die Plattform ist, ändert sich mit der Perspektive auf das System. Leser werden LOG.OS also in der Regel als eine eReading-Plattform wahrnehmen, während Verlage darin eher eine Art Marketplace für ihre Inhalte sehen, Buchhändler ein Marketing-Tool, usw. Und weil es so eben auch viel mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile, nennen wir es ein Betriebssystem für den Literaturbetrieb.
Um noch konkreter zu werden: Was wird das erste Produkt sein?
Natürlich kann man ein solches System nicht am Stück entwickeln, sondern fängt mit der einen Seite an, um sich von da aus weiter vorzuarbeiten. Das erste Produkt von LOG.OS wird eine endkundenseitige Anwendung sein. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Social-Reading Komponenten, um erst einmal Reichweite und Kunden aufzubauen. Vom Endkunden ausgehend werden wir dann weitere Produkte anbieten, vor allem für B2B-Kunden aus der Buchbranche. Wir denken nicht nur an Apps, sondern auch an Software-Tools oder White-Label-Produkte, beispielsweise digitale Angebote für Buchhändler, die sich keinen eigenen Shop leisten können.
Aber dieses Angebot ist nicht neu: Libri bietet genau das an.
Ja und nein. Auch Libri bietet nur einen Teil des Ganzen. Insbesondere schickt jeder Buchhändler, der eBooks verkauft (z.B. über Download), jedoch nicht über eine eigene eReading-Software verfügt, seine Kunden direkt zur Konkurrenz. Unser System bietet diese ausführende Software auf der Basis unserer Infrastruktur. Die Kunden des Buchhändlers können sich dann direkt in unserem System bewegen, beispielsweise über eine App. Natürlich kann auch der Buchhändler auf die volle Funktionalität zugreifen: Er kann seinen eigenen Chanel etablieren und mit Empfehlungen und Rezensionen nach dem Follower-Prinzip neue Kunden auch außerhalb seiner physischen Reichweite ansprechen.
Das klingt nach viel Aufklärungsarbeit, die Ihr leisten müsst.
In erster Linie müssen wir Aufklärungsarbeit innerhalb der Branche leisten. Durch die Digitalisierung verschieben sich die Rollen und Funktionen rund um den Buchbetrieb: Amazon und Apple beispielsweise, die heute noch als Online-Shops wahrgenommen werden, sind längst keine Buchhändler mehr, sondern Betreiber gigantischer Bibliotheken, die nur über einen kostenpflichtigen Zugang erreichbar sind. Das ist den meisten Branchenvertretern noch überhaupt nicht bewusst. Kunden hingegen überzeugt man lediglich mit einem guten Produkt, das ihnen unmittelbaren Nutzen stiftet. Das funktioniert nur, wenn das Produkt selbsterklärend ist, sich also intuitiv erschließt.
Warum ist die Buchbranche so zurückhaltend?
Die Branche hat das große Problem, dass sie von den Konventionen und nicht von den Funktionen her denkt. Sie glaubt zu wissen, was ein Buch ist und wie es in der digitalen Welt funktioniert. Aber das ist falsch. Mit der Digitalisierung erleben wir aktuell nicht nur einen technologischen, sondern auch einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel, welcher der Erfindung des Buchdrucks in nichts nachsteht.
Du spielst auf rasante Veränderungen in der Buchbranche an. An dieser Stelle kommen wir an einem Unternehmen nicht mehr vorbei: Amazon. Jeff Bezos konnte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 61,1 Milliarden Dollar verzeichnen. Was macht Amazon richtig?
Unternehmerisch hat Amazon in der Vergangenheit (fast) alles richtig gemacht: Insbesondere findet man bei Amazon im Gegensatz zu anderen Anbietern das gesamte Spektrum von Inhalten, also nicht nur „lieferbare Titel“, das heißt Bücher aus aktueller Verlagsproduktion, sondern auch antiquarische Titel neben Self-Publishing-Angeboten und rechtefreien Inhalten. Der Kunde interessiert sich nun einmal für konkrete Inhalte, nicht für buchhändlerische Usancen oder Bezugswege.
Ich sehe Amazon auch nicht als den bösen Feind, sondern das „Prinzip Amazon“ als strukturelles Problem, da die Konzentration auf große Plattformen systemimmanent ist. Es gibt schlichtweg einen Bedarf für integrierte Systeme, das heißt Kunden wollen nicht an der einen Stelle kaufen, an der anderen Stelle lesen und sich an dritter Stelle über ihre Inhalte austauschen – sie wollen alles aus einer Hand, bequem und einfach.
Aber dieses Problem kennen andere Wirtschaftszweige auch.
Das Buch ist im Gegensatz zu anderen Gütern und Waren aber nicht nur ein Wirtschaftsgut, sondern auch ein Kulturgut von gesellschaftlichem Interesse. Aufgrund der mittlerweile etablierten Cloud-Services befindet sich dieses Gut aber nicht mehr im heimischen Bücherregal oder in öffentlichen Bibliotheken, sondern in kommerziellen Serverfarmen, die neben eBooks massenhaft Nutzerdaten sammeln. Als Gesellschaft laufen wir damit Gefahr, die Hoheit über das Kulturgut Buch zu verlieren und hinsichtlich der Versorgung mit digitalen (Buch-)Inhalten komplett von internationalen Großkonzernen abhängig zu werden, die alleine den Zugang zu sowie die Nutzung von Inhalten kontrollieren.
Was bedeutet das?
Es sind derzeit danach aus, dass Amazon die gesamte Kultursparte Buch okkupiert.
Das klingt aussichtslos. Ist der Kampf schon verloren?
Nein. Genau hier sehe ich auch unsere größte Chance: Durch die Aggregation von Wissen fällt Amazon eine Funktion ähnlich wie der einer öffentlicher Bibliotheken zu, was jedoch mit einer Verantwortung einhergeht, die ein „normales“ Unternehmen schlichtweg nicht einlösen kann. Per Definition ist ein Unternehmen nicht den Interessen der Gesellschaft in Form der einzelnen Nutzer und Urheber verpflichtet, sondern den Interessen seiner Eigentümer. Gemeinnützigkeit kann man nicht simulieren. Entweder man ist gemeinnützig oder man ist es nicht.
Dafür bräuchte es jedoch erst das Bewusstsein, das Amazon bereits in dieser Verantwortung steht. Doch zurück zu LOG.OS: Wie schaffst Ihr die Trennung zwischen Gemeinnützigkeit und Wirtschaftlichkeit?
Man muss die Aufgaben klar trennen. Das entscheidende ist die Balance zwischen der grundsätzlichen Ausrichtung auf der einen sowie einem wirtschaftlichen Betrieb auf der anderen Seite. Gute Absichten allein bringen uns nicht weit, sondern nur ein gutes Produkt, das die Leute erreicht und überzeugt. Die Herausforderung liegt also darin zu handeln wie ein normales Unternehmen, ohne eines zu sein.
Wie überwindet Ihr dieses Dilemma?
Eine gemeinnützige Gmbh als operative Einheit orientiert sich am Markt und betreibt die Plattform, gehört aber zu 100% einer für diesen Zweck gegründeten Stiftung. Eine Stiftung ist eine eigenständige juristische Person und gehört ausschließlich sich selbst. Außerdem hat die Satzung einer Stiftung testamentarischen Charakter, das heißt sie kann im Gegensatz zur Satzung einer Kapitalgesellschaft, eines Vereins oder einer Genossenschaft im Nachhinein nicht mehr geändert werden. Die Aufgabe der Stiftung ist also, die langfristige Unabhängigkeit sowie die gemeinnützige Ausrichtung der Plattform zu sichern, indem sie wie eine Art Aufsichtsrat agiert. Während die Mitarbeiter der GmbH fest angestellt sind, werden die Ämter und Organe der Stiftung durch Ehrenamtliche bekleidet.
Was macht Ihr anders als Amazon?
Von der Organisationsform und dem Wertekanon einmal abgesehen, konzentrieren wir uns im Gegensatz zu Amazon allein auf den Buchmarkt. Hier sind wir in der Entwicklung der Plattform viel freier und können die individuellen Bedürfnisse von Büchermenschen viel besser befriedigen als große Onliner, deren Infrastruktur auf skalierbaren Versandhandel ausgerichtet ist – was für Autoreifen ebenso passen muss wie für Bücher. Vor allem aber haben wir einen viel stärkeren Fokus auf der Vernetzung von Inhalten und Nutzern. Schlüsselbegriffe sind Kontext und Kommunikation.
Und die Stiftung und die GmbH gibt es schon?
Nein, bisher noch nicht. Den beiden Elementen ist ein weiteres vorgeschaltet: ein gerade frisch gegründeter Förderverein, dessen Aufgabe in der Öffentlichkeitsarbeit sowie im Fundraising liegt. Für das Gründen einer Stiftung benötigt man mindestens 50.000 Euro – dieses Grundkapital wollen wir nun im ersten Schritt über den Förderverein einsammeln, um im Anschluss das eigentliche Fundraising für den Aufbau der Plattform zu beginnen, der sicherlich ein Vielfaches kosten wird. Aber auch nach der Stiftungsgründung soll der Verein weiterbestehen: Während die GmbH und die Stiftung auf das Produkt fokussiert sind, bietet uns der Verein dann einen flexiblen Rahmen für unsere Community sowie öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen und Formate.
Woran mangelt es derzeit am meisten?
Das ist schnell beantwortet: Kapital. Wir wollen ja eine Organisation aufbauen, die im wahrsten Sinne des Wortes nicht käuflich ist. Das heißt aber auch, dass wir zur Deckung unseres Kapitalbedarfs im Gegensatz zu herkömmlichen Startups keine Unternehmensanteile veräußern können. Der klassische Kapitalmarkt bleibt uns insofern verschlossen und wir sind rein auf Spenden, Fördergelder und Sponsoren angewiesen.
Das Drei-Stufen-Modell aus Förderverein, Stiftung und gemeinnütziger GmbH scheint in erster Linie der Sicherheit zu dienen. Warum und vor wem muss LOG.OS geschützt werden?
Es geht ganz generell darum, dass ein Konstrukt wie LOG.OS nicht in privater Hand sein darf – wir brauchen eine funktionierende Organisation, die für Kontinuität und Stabilität im Sinne der Allgemeinheit sorgt. Dazu gehören eine konsequente Nachfolgeregelung, der Aufbau von Nachwuchskräften sowie der Schutz vor Partikularinteressen, sei dies nun ein Eigentümer, ein beteiligtes Unternehmen oder ähnliches. Und letztlich muss man ein solches Konstrukt auch vor sich selbst schützen: Was passiert beispielsweise, wenn ich morgen vor den Bus laufe? Was, wenn ich in 10 Jahren krank bin und mir Jeff Bezos einen Betrag mit unanständig vielen Nullen vor dem Komma bietet? Pathetisch ausgedrückt: Eine digitale Bibliothek von Alexandria sollte Weltkulturerbe sein und nicht einer wie auch immer gearteten Erbengemeinschaft gehören. Es geht nicht um den Einzelnen, sondern um das Ganze.
Damit verfolgst Du einen in hohem Maße altruistischen Ansatz. Aus welchem Grund übernimmst Du so viel Verantwortung?
Weil es das Einzige ist, was Sinn macht. Ein solches Konstrukt kann nur funktionieren, wenn alle an einem Strang ziehen, wenn jeder etwas davon hat. Oder um mit Christian Felber zu sprechen: Kooperation ist die überlegene Organisationsform.
Das klingt nicht nur nach dem Leitsatz von LOG.OS sondern auch nach der rettenden Allianz einer gesamten Branche.
Ja, wir müssen die Wirtschaftstheorie im digitalen Bereich völlig neu denken, da die alten Paradigmen hier nicht mehr greifen. Digitale Inhalte unterliegen nicht dem Erschöpfungsgrundsatz oder dem Knappheitstheorem, im Gegenteil: Sie werden wertvoller, je mehr Menschen sie besitzen. Ein Buch, das ich weggebe, besitze ich nicht mehr. Information, Wissen oder auch eine Datei, die ich weitergebe, befindet sich nach wie vor in meinem Besitz. Und nicht zuletzt gewinnt der Nutzerwert gegenüber dem Tauschwert immer mehr an Bedeutung.
Apropos Besitz: Was hast Du davon?
Sehr viel: ich kann genau das machen, was mich auch tatsächlich interessiert und worin ich richtig gut bin. Und ich werde auch noch dafür bezahlt. Dafür brauche ich aber weder ein exorbitantes Managergehalt noch muss mir das Unternehmen gehören. Entscheidend ist nicht, ob man etwas besitzt, sondern ob man etwas bewirken kann. Es geht um den Sinn.
Volker, ich danke Dir für dieses Interview!
Dieses Interview ist auf dem Buchmesse Blog der Frankfurter Buchmesse in Kooperation mit der Axel Springer Akademie und VOCER erschienen.
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