Lange brauchte die Jury, bestehend aus Hanns-Josef Ortheil, Ilija Trojanow und Anja Utler, bis sie zu einer Entscheidung kam. Das 3:0 wollte sich nicht einstellen. Doch schließlich waren die Gewinner des Open Mike gefunden, beglückwünscht und ausgezeichnet. Aber immer langsam, mit den jungen Pferden. Stop and Rewind.
12:00 Uhr: Anthologie erstanden, Platz gefunden, noch ist das einfach, die WABE ist nur zu drei Vierteln gefüllt. Ist ja auch noch früh morgens. Naja, fast.
12: 15 Uhr: Eine „Schleuse“ in den Literaturbetrieb nannte Literaturwerkstatt-Leiter Wohlfahrt den Literaturwettbewerb am Freitagabend bei „Lesen und Schreiben nach dem Open Mike“, zu dem ehemalige Gewinner geladen waren. Judith Zander berichtete, sie habe ihren Lektor im Rahmen des Wettbewerbs gefunden, bei Inger-Maria Mahlke war es ebenso. Beide betonten jedoch, dass sie nicht aus dem Nichts gekommen waren, Kontakte in den Literaturbetrieb bestanden bereits über Wettbewerbe, Lesungen, Literaturzeitschriften. Auch die Autoren des zweiten Tages sind nicht so unbedarft, wie man es bei einem Nachwuchswettbewerb erwarten dürfte. Andreas Lehmann, der erste Lesende des Tages, nahm letztes Jahr an der Textwerkstatt Darmstadt teil und befand sich auch beim Open Mike schon einmal in der Finalrunde. Sein Text erzählt in unaufgeregtem Ton von irritierenden Ereignissen im sonst so eingespielten Alltag eines Ehepaares. Der Applaus noch etwas müde – mehr davon bekommt Katharina Hartwell mit ihrem Text „Göteborg“, erzählt aus der Perspektive eines Mädchens, dessen Bruder mit Depressionen zu kämpfen hat. Die Hoffnung der kleinen Louise richten sich auf die versprochene Reise nach Schweden, auf Elche und Köttbullar.
12:43 Uhr: Christian Schick schrieb seine erste Erzählung, als er in der Wüste Chiles auf den Bus wartete und sich einsam fühlte. Eine gute Anekdote zur Einführung, ein souveräner und sympathischer Vortrag, der Text ist aber nicht berauschend, trotz Atlantik und Wellengetöse. Auch zu Tom Müller gibt es eine biografische Kleinigkeit zu berichten, er hat auf einem Schlachthof gearbeitet. Und so spielt seine australische Geschichte auch zwischen Schafhälften, Zigaretten, Abiturienten und Christiane. Well done.
14:18 Uhr: Die Langschläfer sind eingetrudelt, jetzt sind auch Fensterbänke und Treppenstufen bis auf den letzten Platz besetzt. Sebastian Polmans eröffnet die zweite Runde nach der Pause mit einem wunderbar rhythmischen Text, der von einer subtil-erotischen Begegnung mit einer Erdnüsse essenden Nonne in einem Bushäuschen mit gelben Hartschalensitzen erzählt. Der Typ hat es drauf, großer Applaus. Daneben etwas blass wirkt Anne Krügers, deren Ich-Erzählerin ein Schaumbad nimmt, während ihr Partner nebenan Kontenbewegungen verfolgt.
14:44 Uhr: Schade, dass kaum einer der Vortragenden ins Publikum blickt. Liegt womöglich an dem überdimensionalen Mikrofon, das auch meist eine Gesichtshälfte der Autoren verdeckt. Philip Maroldt liest Lyrik, in der steriler Speichel irgendwas macht, und ein kostbares Frequenzband auch irgendwas macht, und irgendwelche Verliebtheitsvektoren auch. Ich glaube, es hat was mit high definition zu tun. Jennifer de Negri beendet den Literaturmarathon nach insgesamt 300 Minuten Lesezeit mit einer rund erzählten Geschichte, die auf dem Pausenhof einer Schule spielt. Ein harmloses Kinderspiel wird zu einer wilden Hetzjagd.
15:39 Uhr: Beim Pressegespräch im dritten Stock mit beinahe Rundumblick über Prenzlberg wird diskutiert, warum die eingesandten Texte tendenziell monologisch, wenig gesellschaftskritisch und kaum experimentell sind. Weil Beziehungen heutzutage wenig stabil sind, weil es schwer ist, politisch ohne platt und plakativ zu sein, weil Avantgarde einfach nicht mehr notwendig ist – so lauten die Antworten. Da freut sich das Feuilleton.
17:17 Uhr: Endlich, der erste Preis des Abends wird verliehen. Eine sehr sympathisch wirkende Publikumsjury mit Promifaktor (TV-Schauspielerin Franziska Matthus ist dabei) und Bloggerspirit (in Person der Übesetzerin Katy Derbyshire) zeichnet Sebastian Polmans „Über Peanuts, mich und andere Sachen“ aus (der Nonnentext, ihr erinnert euch). Polman wirft den überreichten Blumenstrauß spontan ins Publikum – das war nicht etwa ein Antrag? Im nächsten Jahr erscheint übrigens sein erster Roman.
17:45 Uhr: Levin Westermann erhält den Preis für Lyrik, obwohl zunächst anzunehmen war, dass Philip Maroldt der Glückliche ist. Die Jury lobt nämlich ausführlich die abstrakte Wortwahl, die ein „Labyrinth der leeren Räume“ erzeuge, was einen „Hunger nach Poesie“ verdeutliche. Hätte auf Maroldt perfekt gepasst – nur, der isses nich. Die beiden Preise für Prosa erhalten Jan Snela und Janko Marklein, die Joy in ihrem gestrigen Bericht schon vorgestellt hatte. Jetzt kann gefeiert werden.
Die Gewinner von links nach rechts:
Sebastian Polmans, Janko Marklein, Levin Westermann und Jan Snela.
Fotos: Franziska Schramm
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